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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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gekrochen, obwohl sie wenig Grund dazu gehabt hätte. Ich weckte die schlafende Schönheit nicht, um nachzufragen. Nein, das siebte Küken war aus dem Hühnerstall entfleucht. Ich verließ das finstere Schlafzimmer und schloss leise die Tür, indem ich behutsam den Knauf drehte, bis die Riegel und Dornen einrasteten. Das Mädchen seufzte im Schlaf, als ich hinausging.
    Wo würde die Mörderin sich verstecken? Die Größe des Hauses passte haargenau zu der Größe in meiner Erinnerung, denn seine Räume und Gänge waren mir ebenso vertraut wie die verwunschenen Orte meiner Kindheit. Es gab nur so viele geheime Ecken, und mit der Saugglocke, die mir wie eine Waffe am Gürtel hing, machte ich mich auf, das Mädchen zu suchen.
    Das beste Versteck wäre im Keller, darum sprang ich zwei Treppen hinunter und knipste das Licht an. Glücklicherweise war der unterste Teil des Hauses so, wie ich ihn mehr oder weniger in Erinnerung hatte, obwohl jemand die Vorratskammer aufgeräumt und die kleinen Handwerkzeuge und die Gläser mit Muttern, Schrauben und Nägeln geordnet hatte. Der Heizkessel war noch derselbe, ebenso die Waschmaschine und der Trockner. Ein zusammenklappbarer Wäscheständer stand neben dem Bügelbrett, über dem ein Sommerkleid, beflockt mit winzigen Tigern, Affen und Elefanten in Gold- und Rottönen, hing, in der Art, wie Sita es tragen könnte. Ich befühlte den Stoff und ließ meine Finger über den Saum gleiten. Eine Grille zirpte in einer Ecke, aber ich ließ sie in Ruhe. Einige Kulturen, ich meine, die Chinesen, glauben, eine Grille im Haus bringe Glück, darum stören mich ein, zwei Irrläufer nicht. Als wir Kinder waren, verdarb mir mein Bruder Jiminy Crickets Geschichte von Pinocchio, indem er mir die wahre Geschichte erzählte. In Collodis italienischem Original, Il Grillo Parlante , ist die sprechende Grille die Stimme der Vernunft und der Verantwortung für den gerade lebendig gewordenen Jungen Pinocchio, der, vom Nörgeln der Grille genervt, einen Hammer nach ihr wirft, und das ist ihr Ende. Ein Unfall.
    Die sprechende Grille erinnerte mich an meinen Kater, der plötzlich reden konnte und den ich, wie ich mich nun erinnerte, vor geraumer Zeit ins Freie gelassen hatte. Ich schlurfte die Treppe hinauf und öffnete die Küchentür zur hinteren Veranda, wo er oft auf Einlass wartete, doch keine Spur von Harpo. Ich rief ihn ein-, zweimal, wagte aber nicht hinauszugehen. Vielmehr blieb ich eine ganze Weile auf der Schwelle stehen, spürte die feuchte Juniluft auf meiner nackten Haut und sog den Duft der blühenden Rosen vom Nachbarhaus ein und den des frisch gemähten Rasens zwei Häuser weiter. Wenn der Sommer auch seine Plagen mit sich bringt – Hitze, drückende Feuchtigkeit, Mücken und andere fliegende-beißende-stechende Tierchen, Gestank am Tag der Müllabfuhr und rasche Fäulnis und Verwesung –, sie werden durch die sinnlichen Freuden mehr als aufgewogen. Zumindest rede ich mir das ein. Meine Rufe nach dem abwesenden Kater schwebten in das sanfte Dunkel und verflüchtigten sich. Ich steckte den Daumen in den Wassernapf, der auf dem Boden stand. Er fühlte sich noch kühl an, als wäre er gerade aus dem Wasserhahn gefüllt worden. Die Katzenklappe in der Tür war entriegelt, ich steckte ein Nachtlicht, geformt wie ein Kanarienvogel, für Harpo in die Steckdose. Der Kater wird zurückkommen, wenn er dazu Lust hat.
    Im Erdgeschoss gab es nur sehr wenige Verstecke. Im Esszimmer eine riesige Eckschreibkommode aus Eiche im chinesischem Stil, in deren Klappe zwei Drachen geschnitzt waren. Mein Bruder hatte dieses extravagante Möbel bei einer Haushaltsauflösung erstanden. »Die perfekte Größe«, hatte er gesagt, »um darin eine Leiche zu verstecken.« Im Wohnzimmer schaute ich in die Schränke und suchte nach verräterischen Schuhen, die unter den bodenlangen Vorhängen herausspitzten. Ich durchsuchte die Bude und überlegte, was ich täte, sollte ich sie tatsächlich finden. Einen Angriff mit ihrer Ukulele müsste ich mit meiner Saugglocke abwehren. Nachdem alle Möglichkeiten unten erschöpft waren, bestand die einzige Option darin, wieder nach oben zurückzukehren. Der Nachteil der Architektur dieser Häuser liegt in dem dauernden Treppensteigen von Stockwerk zu Stockwerk. Man verbringt viel Zeit damit, hoch- und runterzugehen. Gut für die Beine, aber ist man nicht Sherpa oder Schaf, bedeutet das Hinaufgehen in den frühen Morgenstunden eine Last. Von unten ragten Millionen Stufen auf, und was

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