Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
keine Ahnung, welche Rolle ich in diesem Drama spielen sollte. Meine Hände waren erhoben, meine Reflexe sind jedoch sehr langsam. Schon die Vorstellung, dass höchstwahrscheinlich jemand erschossen würde, verschreckte mich zutiefst, aber ich hatte kein Mittel, meine Ängste kundzutun.
»Versuch nicht, irgendwelche Scherze zu machen«, sagte sie.
»Ich habe nicht die Absicht, irgendetwas zu versuchen«, sagte ich, »ob Scherze oder anderes. Musst du das wirklich tun?«
»Um genau zu sein, unbedingt.«
»Vor dem kleinen Kind? Du wirst es für sein Leben schädigen.«
»Nimmt bitte jemand dieses Kind«, sagte sie, »und hält ihm die Augen zu. Nein, ich habe es mir überlegt, es soll zusehen. Es ist gut für den Jungen zu wissen, was geschieht, wenn man einer Frau ein Unrecht antut.«
Ich senkte die Arme auf halbmast. »Hör zu, Schwester, ich sehe dich heute Nacht zum allerersten Mal in meinem Leben. Welchen Grund hast du zu sagen, ich hätte dir ein Unrecht angetan?«
»Habt ihr Zeit für eine Geschichte?« Sie lachte über sich selbst, und die Ironie sprang von einer zur anderen, bis alle Frauen kicherten.
Auch ich, von der Stimmung angesteckt, kicherte. »Wenn ich etwas habe, dann ist es Zeit, obwohl ich mich ein bisschen besser fühlen würde, wenn du dieses Ding in eine andere Richtung halten könntest.«
Langsam senkte sie die Knarre, während sie mich nicht aus den Augen ließ. »Keine krumme Tour, hörst du?«
Ich war durchaus versucht, eine krumme Tour zu fahren, doch unter den gegebenen Umständen hielt ich meinen Impuls unter Kontrolle. Ohne den Revolver vor meinem Gesicht sah ich sie mir genauer an. Kein Zweifel, das war die Ukulele-Frau, nun aufgetakelt in ihrem schwarzen Killerkleid, mit Strümpfen, Pumps und Perlenkette. Ihr gebleichtes Blondhaar war aufgebauscht mit einer kessen, in die Stirn fallenden Locke, und ihre rot geschminkten Lippen betonten ihre gefährlichen weißen Zähne. Sollte es mit der Kugel nicht klappen, konnte sie immer noch beißen. Ich wünschte mir, sie würde mich beißen. Wie ein Pascha auf seinem Thron lehnte der alte Mann sich auf dem Klodeckel zurück. Während meiner Abwesenheit war er zu einem roten Fez gekommen, der auf seinem Silberhaar saß, was ihm den Hauch eines exotischen Ränkeschmieds verlieh, ihn aber zugleich etwas lächerlich erscheinen ließ. »Könntest du uns die Freude bereiten und die Liebenswürdigkeit besitzen, mein Fräulein, dich uns vorzustellen, bevor du mit deiner Geschichte beginnst?«
»Halt die Klappe«, sagte sie zu ihm. »Eines solltest du auf der Stelle wissen: Wer die Knarre hat, bestimmt, wo es langgeht.«
»Oh, gut gekontert«, sagte der alte Mann.
Sie zielte mit der Pistole auf ihn. »Ernsthaft, Kumpel, halt das Maul, und lass mich die Dinge auf meine Weise erledigen.«
So zur Räson gebracht, setzten wir uns wie Schulkinder, höflich und still, für die Erzählstunde hin. Alle, mit Ausnahme des kleinen Jungen, der damit beschäftigt war, das Klopapier abzurollen, bis nur noch die leere Papprolle übrig blieb. Mit ihr zielte er auf die Frau im schwarzen Kleid und sagte: »Peng!«. Sie griff sich so rasch und überzeugend an die Brust, dass ich einen Augenblick glaubte, sie sei tatsächlich erschossen worden; dann richtete sie ihre Pistole auf den Kleinen und sagte beim Rückstoß: »Peng!« Seine kleine Patschehand legte sich sofort auf sein Herz, und ich dachte, sie habe ihn wirklich erschossen, doch es war alles nur Scharade.
»Du kannst Bunny zu mir sagen.« Sie richtete sich an den Jungen, aber sicherlich sprach sie zu uns allen. Er klatschte in die Hände und tat so, als schösse er noch einmal.
»Wenn er dich stört, Bunny«, sagte der alte Mann, »nehme ich ihm das Ding weg.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und ließ den Revolver oben auf dem Medizinschrank verschwinden. »Das wirst du nicht tun. Was wir aber alle tun müssen, ist, uns zu entspannen.«
Nun, da die Waffe außerhalb ihrer Reichweite war, fühlte ich mich sehr viel besser, und auch der alte Mann stieß einen tiefen Seufzer aus und lehnte sich zurück an den Waschtisch, um ihre Geschichte zu hören. Mit einem Fingerschnippen dämpfte sie das Licht, und das Surren des Badezimmerventilators stellte sich auf das Tempo einer kubanischen Jazzmelodie um. Von den Trennblättern, die auf dem Boden lagen, erhob sich Zigarettenrauch, der als Wolke unter der Decke hängen blieb. Sie griff in den Medizinschrank, nahm eine Reihe von Cocktails heraus und
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