Sommernachtsschrei
zwar auch alles, aber in sehr bescheidenen Mengen. »Wir gewöhnen uns schon hier ein«, sagte mein Dad am ersten Abend in unserem Haus, in dem es nach Moder roch, und meine Mutter nickte. Aber ich hatte das Gefühl, dass sie es eigentlich zu sich selbst sagten, um sich Mut zu machen.
Die ersten beiden Wochen waren wir alle drei neben unserem normalen Alltag mit der Umgestaltung des Hauses beschäftigt. Alte Tapeten und Teppiche rausreißen, gründlich putzen, Wände streichen, neuen Teppich verlegen. Wir richteten uns in unserem neuen Leben ein, in der Hoffnung, dass alles schon werden würde. Mittlerweile war das Haus eigentlich ganz schön geworden – innen zumindest. Aber wenn ich morgens mit dem Fahrrad zur Schule fuhr und an all den schicken Häusern und großen Villen vorbeikam, versetzte es meinem Herz immer einen Stich. Meine Eltern und ich würden hier nie dazugehören.
Nach drei Wochen hatte ich immer noch niemanden gefunden, der mich näher kennenlernen wollte. Ich saß neben zwei Mädchen, die ständig miteinander tuschelten und mich keines Blickes würdigten. Überhaupt schien mich keiner wahrzunehmen. Ich war einfach Luft. Um Maurice machte ich einen Bogen, denn ich wollte mich nicht noch mehr frustrieren lassen – sicherlich würde er mich genauso behandeln wie alle anderen.
Jeden Tag hasste ich mein Leben und meine Eltern mehr. Alles war so klein und eng und spießig, egal, was wir taten, ob wir im Baumarkt Teppiche und Tapeten oder Möbel aussuchten, es ging immer nur um Cents und Sonderangebote. Und nicht um das, was einem wirklich gefiel.
Eines allerdings gab es, was mich glücklich machte und die öde Welt um mich herum vergessen ließ. Und das war die Musik.
In Hanau, wo wir vorher gewohnt haben, hatte ich mit vier Mitschülern eine Band gegründet. Wir probierten ganz verschiedene Richtungen, auch klassischen und Free Jazz. Nils war ein leidenschaftlicher Musiker und spielte verdammt gut Klavier. »Du singst echt ziemlich cool«, hatte er einmal bewundernd gesagt und ich war rot geworden. Ich hatte nie Unterricht gehabt und meine Eltern sind wirklich unmusikalisch. Keine Ahnung, wer mir dieses Talent in die Wiege gelegt hat.
Wenn ich sang, wurde ich jemand anderes, dann war ich nicht mehr die Franziska Krause, die mittelmäßig in der Schule war, mittelgroß, braune Haare und auch sonst einfach nur Mittelmaß. Nein, da wurde ich irgendwie zu… zu einer Königin, ja. Einer Königin eines wunderschönen Landes, in dem nur glückliche Menschen lebten. Das hab ich aber nie jemandem anvertraut. Vielleicht könnte ich ja auch mal mit Musik Geld verdienen, viel Geld, und dann würde ich mich nur mit Schönem umgeben. Schönem und Teurem. Davon träumte ich, wenn ich mich richtig schlecht fühlte.
Auch das Augustinus-Gymnasium hatte eine Band, wie ich bald erfuhr. Eine Mädchenband, die nicht nur Coversongs, sondern auch eigene Lieder spielte. Die Sängerin, Jasmin, war von ihren Eltern ins Internat nach Salzburg geschickt worden und die Band brauchte jemand Neuen. Der Gedanke, wieder Musik machen zu können, ließ mich nicht los. Und außerdem war das die perfekte Gelegenheit, endlich Freunde zu finden. Allerdings erhielt meine Vorfreude einen gewaltigen Dämpfer, als ich erfuhr, wer die restlichen Bandmitglieder waren.
Es waren ausgerechnet die drei arrogantesten Mädchen meiner Jahrgangsstufe (sie waren noch dazu in meiner Klasse!), um die sich die Jungs nur so scharten und die mit kaum einem anderen Mädchen redeten. Sie probten immer freitags nachmittags im Musiksaal der Schule. Der Gedanke daran, dort einfach vorbeizugehen und zu fragen, ob ich in der Band mitmachen könnte, ließ mich vor Freude nicht gerade jubeln.
Es hieß, sie waren so was wie eine eingeschworene Gemeinschaft.
Ja, und sie führten einen völlig anderen Lifestyle als ich – falls man meinen überhaupt als »Style« bezeichnen konnte.
Aber um zu verstehen, weshalb ich mich in ihrer Anwesenheit wie ein Mauerblümchen fühlte, sollte man noch Folgendes über sie wissen.
Maya von Klingberg wohnt mit ihren Eltern in einem großen Landhaus mit Wald und Wiese, sie besitzen Pferde, zwei Labradors und mehrere Autos. Wie im Film. Ihr Vater ist ein hohes Tier bei einer Münchner Versicherung und ständig unterwegs. Ihre Mutter beschäftigt sich damit, alte Möbel aufzukaufen oder aus Sperrholz Kleiderständer und Figuren zu sägen und sie zu bemalen. Sie verkauft sie an mehrere Einrichtungsläden in Rosenheim und
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