Sommernachtsschrei
»Entschieden?«
»So einfach ist das nicht«, sagte Vivian nach einer Pause und saugte durch ihren gebogenen Trinkhalm den Caffè Latte an, dass es gurgelte. Die beiden anderen nickten und musterten mich.
Obwohl Vivians Eltern ein bekanntes Schraubenunternehmen und ziemlich viel Kohle hatten, lief sie immer ein bisschen schlampig herum. Sie schnitt sich selbst das kupferrote Haar mit vielen Ecken und Kanten, dass sich die Leute in Kinding und Prien nach ihr umdrehten und den Kopf schüttelten. Sie kaufte Secondhandklamotten in München und kombinierte sie mit D&G-Sachen. An ihrem Handgelenk klackerte eine Rolex. Sie hat mir irgendwann später einmal gezeigt, dass sie echt ist. »Du musst dir den Verschluss anschauen. Daran erkennst du die billigen Fälschungen.«
Jetzt warf sie einen Blick darauf, als habe sie für dieses Gespräch nur eine kurze Zeit eingeplant. »Deine Stimme ist zwar ganz passabel…«, redete Vivian weiter und ich spürte, wie Wut in mir aufstieg. »Aber?«, funkelte ich sie an, was sie allerdings nicht sonderlich zu beeindrucken schien.
»Aber – das reicht nicht ganz. Wir sind ja nicht einfach nur eine Band«, sagte Vivian und hob die gepiercte Augenbraue.
»Wir sind ein Klub«, erklärte Leonie und strich sich eine dunkelbraune Strähne aus der Stirn.
»Ein exklusiver Klub«, fügte Maya lächelnd hinzu.
»Und wir nehmen nicht jeden auf.« Vivian.
»Natürlich nicht.« Leonie.
»Du musst also beweisen…« Maya.
»… dass du würdig bist, zu uns zu gehören«, beendete Vivian den Satz.
Fragend sah ich alle drei der Reihe nach an. Wie sie mich musterten! Ich schluckte. »Also, was wollt ihr?«, fragte ich und mein Herz begann, gegen meine Rippen zu hämmern. Ich wollte unbedingt wieder Musik machen, ich hatte wahnsinnige Lust darauf, endlich wieder singen zu können. In meinem Kopf hörte ich die Musik, die sie letzten Freitag im Proberaum gespielt hatten. Ich wollte unbedingt – doch was würde ich für einen Preis dafür bezahlen müssen?
Sie sahen sich an, dann grinsten sie und Vivian nahm den angekauten Strohhalm aus dem Mund und sagte: »Was hältst du davon, wenn du uns ein paar Flaschen Whisky besorgst und mit uns heute Nacht zum See fährst?«
Ich war perplex. Mit so etwas Abgedrehtem hatte ich nicht gerechnet. »Wie soll ich denn Whisky besorgen?«, fragte ich. »Meine Eltern trinken so was nicht.« Wir waren alle fünfzehn, bis auf Leonie, und kein Laden würde uns Hochprozentiges verkaufen.
Da sahen mich alle drei mit großen Augen an und Vivian sagte lässig: »Ihr habt doch eine Tankstelle mit Shop. Oben, hinter der Kasse, steht eine super Auswahl, wenn ich mich recht erinnere!«
»Ihr spinnt ja, ich kann doch nicht meine eigenen Eltern beklauen!« Meinen Eltern gegenüber war ich immer ziemlich ehrlich gewesen, jedenfalls habe ich sie nie belogen, wenn es um wichtige Dinge ging. Und bestohlen hatte ich sie erst recht noch nicht. Abgesehen davon, dass Klauen für mich sowieso ein Tabu war.
»He, stell dich nicht so an! Wir verlangen ja nicht, dass du uns ’ne Jéroboam Champagner kaufst!«, stöhnte Vivian.
»Jéro… wie?«, brachte ich heraus.
»Oder ’ne Nebukadnezar«, meinte Leonie kichernd.
»Nebukad…« Ich war keine Leuchte in Geschichte, aber an diesen Namen erinnerte ich mich. König von Babylon. Aber was hatte er mit mir zu tun? Und mit dem Whisky?
Die drei grinsten sich an. Scheinbar wussten alle, was gemeint war, bloß ich nicht.
Maya gähnte. »Also, was ist jetzt?«
»Könnt ihr euch nicht was anderes ausdenken? Etwas, das nichts mit meinen Eltern zu tun hat?«, versuchte ich es.
Niemand antwortete mir.
»Ich könnte… irgendwo öffentlich singen oder…« Mir gingen die Ideen aus, bevor ich welche hatte, also sagte ich: »Das ist doch echter Kinderkram, so ’ne Mutprobe!«
Vivian zuckte die Schultern und Leonie und Maya seufzten. »Tja, das ist ziemlich uncool von dir, Franziska«, sagte Vivian dann, ließ sich in die Polster zurückfallen, raufte ihr rotes Haar und wendete sich an die anderen beiden. »Findet ihr nicht?« Die Angesprochenen nickten und sahen gelangweilt weg.
»Ihr wollt, dass ich meine Eltern bestehle«, sagte ich in der Hoffnung, dass sie nun lachen und sagen würden, das sei alles nur Spaß gewesen und klar könnte ich zu ihnen gehören und in der Band mitmachen.
Doch Vivian verzog schmerzlich das Gesicht, als hätte sie Zahnweh. »Ich glaube, wir lassen das mit Franziska Krause, meint ihr nicht? Wir können
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