Sommernachtsschrei
erklärt sie Leonie, die angeekelt nach einer Serviette greift. »Aber mal ehrlich: Claude ist doch der Einzige, der davon profitiert hat, dass Maurice tot ist.«
»Was redest du da?«, frage ich.
Die drei sehen sich an. Ich scheine die Einzige zu sein, die keine Ahnung hat.
Vivian fährt sich durchs kurze rote Haar. »Claude schmeißt jetzt den Laden von seinem Alten.«
»Die Baufirma?«
»Ja.«
»Na ja, Daddy führt schon noch Regie, aber Claude ist definitiv sein Nachfolger. Und das nach DEM Skandal von Kinding.«
»Was für ein Skandal?« Ich habe keine Ahnung, wovon sie reden.
»Hast du damals echt nichts mitgekriegt, Ziska? Mensch, auf den Partys unserer Eltern gab es kaum noch ein anderes Gesprächsthema«, meint Vivian.
Klar, auf den Partys ihrer Eltern. Genau deshalb weiß ich von nichts. »Mensch, Vivian, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!«, dränge ich.
Vivian blickt in die Runde und räuspert sich. »Claude hat so ungefähr vor einem Jahr einem Typen aus dem Bauamt die Frau ausgespannt! Na ja, hat sich in die Tussi verliebt mit allem Drum und Dran. Das war echt der Megaskandal! Wo doch sein Vater ohne seine Connections zum Bauamt seinen Laden dichtmachen kann. Jedenfalls war es für seine Eltern der Super-GAU. Seine Mutter ist wohl ziemlich ausgerastet. Von wegen, er braucht sich nicht mehr blicken zu lassen und so einen Sohn hat sie nicht zur Welt gebracht! Eine echte Drama-Queen, die Alte! Und sein Vater erst! Klar war, dass Claude auf keinen Fall mehr irgendwas mit der Baufirma zu tun haben sollte. Dabei wollte er ja nach seinem BWL-Studium da einsteigen.«
Vivian grinst und redet weiter. »Maurice hat sich aus der ganzen Diskussion rausgehalten. Hat wohl gedacht, die beruhigen sich schon wieder. Seine Mutter hat meiner Mutter erzählt, dass er einfach nur die Schultern gezuckt und gesagt hat, dass er dafür jetzt keinen Nerv hat.«
»Wann war das?«, frage ich ungläubig.
»Das war einen Tag vor der Party«, antwortet Vivian. »Hat er dir an dem Abend nichts davon erzählt?«
Stumm schüttle ich den Kopf. Panik steigt in mir auf. Oder hat Maurice es mir erzählt und es gibt noch mehr dunkle Löcher in meiner Erinnerung…?
»Na ja, auf alle Fälle haben sich die beiden dann noch so richtig gefetzt. Claude ist ein Hitzkopf. Er war auf der Party und hat Maurice zur Rede gestellt. Von wegen Brüder und Loyalität und so. Er soll jedenfalls total wütend gewesen sein. Maurice hat ihn wohl einfach so abserviert.«
»Aber er hat mir nichts erzählt!«, wende ich ein. »Wenn das so ein schlimmer Streit war, warum hat er mir dann gar nichts davon gesagt?«
Leonie betrachtet die Eiswürfel in ihrem leeren Glas, dann sieht sie mich an. »Ziska, Maurice hatte an dem Abend doch nur noch Augen für dich. Meinst du, er hätte Lust gehabt, auf der Party mit seinem Bruder über die Tussi von dem Sesselfurzer aus dem Bauamt zu quatschen?«
»Warum hat mir das denn keiner von euch erzählt?« Meine Hand stößt das Glas vor mir um. Die gelbliche Flüssigkeit ergießt sich über den Tisch und tropft auf meine Beine. »Mist!« Die Eiswürfel liegen wie verirrte Hagelkörner auf dem Tischtuch, das jetzt nicht mehr weiß, sondern hässlich gelblich ist.
»Entschuldigung«, murmle ich und versuche, die Eiswürfel aufzusammeln, was mir nicht gelingt, weil sie mir durch die Finger flutschen.
Die drei sehen mich an, als wäre ich eine Irre. Na ja, wahrscheinlich benehme ich mich auch so. Ich seufze und lass das mit den Eiswürfeln sein. Jetzt nur nicht heulen. Nein, es kommen zum Glück keine Tränen.
»Das mit dem Streit zwischen Claude und Maurice hab ich erst vor ein paar Wochen erfahren«, erklärt Vivian. »Meine Schwester hat es von ihrer Friseurin und die ist mit der Freundin von diesem Franz Niederreiter befreundet.«
»Nicole Stoll, die mit dem Nagelstudio?«, fragt Leonie.
Vivian nickt. »Genau die. Die Tussi vom Bauamt lässt ihre Krallen nämlich bei ’ner Kollegin von ihr in München schärfen. Die Sache mit Claude ist aber durch. Frauchen ist wieder bei ihrem Herrchen vom Bauamt.«
Maya seufzt. »Ich weiß schon, warum ich mit meinem Friseur nur über Haare rede.«
»Eben. Jeder weiß doch, dass Friseure und Kosmetikerinnen die größten Tratschen sind«, stellt Leonie fest.
Ich greife zu meinem Glas, das Maya wieder aufgefüllt hat, und stürze den Inhalt hinunter. In meinem Kopf dreht sich alles, Gedanken überschlagen sich, ergeben auf einmal neue Zusammenhänge. Dinge
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