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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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München. Offenbar gab es genügend Leute, denen eine dicke Kreolin mit buntem Kleid und Turban als Kleiderständer gefiel. Oder ein farbiger Kellner, der mit weißen Handschuhen einen Aschenbecher hält. Mayas Bruder studiert in New York an der Filmakademie und kennt angeblich schon alle wichtigen Leute der Branche.
    Leonie Anders’ Vater ist ein bekannter und erfolgreicher Architekt. Sie bewohnen das moderne Glashaus mit japanischem Garten am Waldrand und fliegen übers Wochenende mal schnell in ihre Wohnung nach Barcelona oder so.
    Und dann war da noch Vivian Faber, deren Eltern mit einem Schraubenunternehmen stinkreich geworden sind. Die beiden älteren Geschwister sind bereits in die Firma eingestiegen. Vivian würde beruflich tun und lassen können, was sie wollte – und dabei war es völlig egal, was es kostete.
    Also, alle waren irgendwas Besonderes.
    Nur ich nicht. Ich war bloß vermessen – und größenwahnsinnig.
    Eigentlich hatte ich keinerlei Hoffnung auf Freundschaft oder dass die drei sich in irgendeiner Art für mich interessieren würden. Aber vielleicht könnte ich ja wenigstens in ihrer Band mitmachen – schließlich war ich eine ganz passable Sängerin.
    Ich ging also am darauffolgenden Freitag nicht nach Hause, sondern drückte mich im Schulgebäude herum, stieg um halb vier die Treppen zum Musiksaal unter dem Dach hinauf und lauschte an der Tür. Sie hatten schon angefangen. Die Musik gefiel mir. Eine Mischung aus Rap und Soul und Pop. Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir auf der Treppe. Zu spät, ich konnte mich nirgendwo verstecken.
    »He, bist du von der Konkurrenz?«
    Es war Til, wie ich dann erfuhr, aus der Dreizehnten. Er war der Tontechniker.
    »Nee, ich hab nur was vergessen… dadrin«, stammelte ich. Plötzlich hatte ich den Mut verloren. Sie würden mich niemals mitmachen lassen! »Ich wollte nicht stören.«
    Er grinste und sein abgebrochener Schneidezahn fiel mir auf. Er war nett, dachte ich wenigstens in dem Moment.
    Ohne mich zu fragen, schob er mich in den Raum.
    Die drei sahen auf: Maya von Klingberg mit der Bassgitarre, Vivian Faber hinter dem Schlagzeug und Leonie Anders an der Leadgitarre. Obwohl ich seit zwei Wochen jeden Tag mit ihnen im selben Klassenzimmer saß, hatte mich keine von ihnen bisher auch nur angesehen. Doch jetzt waren ihre Augen einzig auf mich gerichtet.
    Ich wurde knallrot und brachte noch nicht mal ein »Hi« heraus.
    »Hier will eine vorsingen«, sagte Til und das haute mich um. Er wusste doch gar nichts über mich! Gerade noch hatte ich ihn so nett gefunden und jetzt wollte er mich vor allen bloßstellen. Sein amüsiertes Grinsen machte mich ziemlich wütend.
    »Tatsächlich?« Maya hob die Augenbrauen und strich sich eine Strähne ihres gelockten blonden Haares aus ihrem barocken Gesicht.
    »Wir brauchen zwar niemanden«, sagte nun Leonie, die irgendeine rote Designerlederjacke trug, »aber vielleicht mal in… in einem Jahr oder so.«
    Das stimmt doch gar nicht!, wollte ich schon sagen, aber ich hielt mich gerade noch zurück. Okay. Wenn sie mit falschen Karten spielten, würde ich es genauso machen.
    »Ich wollte auch gar nicht«, sagte ich, »wirklich, ich, ich… ich kann doch gar nicht singen!«
    Ich hatte sie richtig eingeschätzt. Jetzt bekamen sie richtig Spaß an der Sache.
    »Das kann schon sein, aber wir wollen es hören!«, sagte Vivian und grinste.
    »Aber…«, stotterte ich.
    »Aber was?« Maya sah mich mit aufgerissenen Augen an, wie ein unschuldiger, kleiner Hund.
    In dem Moment sagte eine Stimme in mir, ich sollte mich einfach umdrehen und gehen, weil ich mit diesen Zicken nichts zu tun haben wollte. Aber vielleicht war es mein Stolz oder auch meine Liebe zur Musik, wahrscheinlich war es beides zusammen, das mich bleiben und sagen ließ: »Okay, aber dann lasst ihr mich gehen, ja?«
    Da grinsten sie alle und nickten.
    Ich sang ohne Begleitung ein Stück von Aretha Franklin.
    Sie starrten mich an und ich sah die Mischung aus Wut, Bewunderung und Neid in ihren Augen.
    Niemand sagte etwas, bis ich mich räusperte. »Also, wenn ihr dann mal nächstes Jahr jemanden braucht…«
    Ich brachte tatsächlich noch ein freundliches Nicken zustande und lief dann in Richtung Tür.
    »Seid ihr denn total bescheuert oder was?«, donnerte Tils Stimme durch den Raum. »Da lasst ihr die beste Sängerin, die ihr euch jemals erträumen könnt, einfach so hier rausspazieren?«
    Ich blieb stehen, drei, vier Schritte von der Tür entfernt. Wartete.

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