Sommernachtszauber (German Edition)
gestraft hatte? Konnte ihre Liebe diese Wahrheit ertragen? Sie musste grässlich sein …
»Sie hat gesagt, ich wolle sie alle zum Teufel schicken. Und ich könne erst wieder Frieden finden, wenn ich nicht mehr nur an mich selbst denke …« Seine Stimme verlor sich in der Dunkelheit, die sich nun auch zwischen sie beide schlich, denn die Kerzen waren beinahe abgebrannt. Judith umschlang ihn, hielt ihn. Sie sah, wie viel Kraft ihn seine Worte gekostet hatten.
»Du musst mir das nicht sagen …«, begann sie, obwohl sie doch darauf brannte, endlich die Wahrheit von ihm zu hören.
»Doch. Das muss ich. Je mehr ich an dich denke und daran, dass das Stück ein Erfolg werden muss, der das
Bimah
wiederbelebt, umso näher komme ich dem Frieden.«
»Das ist doch gut!«
»Du verstehst nicht. Ich meine, umso näher komme ich dem –« Er stockte.
Caroline sank von ihm zurück auf ihre Fersen. Sie ließ ihn los, musste ihn loslassen, als die volle Wucht der Erkenntnis sie traf.
»Je mehr ich dich liebe, und je mehr ich mich dabei selbst vergesse und nur für dich da bin, umso näher komme ich der Erlösung – dem Tod.«
Zwischen ihnen tropfte die Zeit in ihr Schweigen. Eine Stille, dunkel und groß, die auch das Geisterlicht in diesem Augenblick nicht erhellen konnte.
»Bist du dir sicher?« Die Frage kostete Caroline nach einer Weile, die endlos schien, alle Kraft.
Er nickte. »Ganz sicher. Als du das letzte Mal gegangen bist und ich dir wie immer nachgesehen habe, habe ich begriffen: Wir haben nicht mehr lange, du und ich.«
»Was hast du getan?«, flüsterte sie entsetzt.
»Ich bin auf das Dach geflohen. Denn von dort aus konnte ich dir länger nachsehen. Und darüber nachdenken, weshalb jeder Moment unseres Zusammenseins unsere Zeit miteinander so grausam verkürzt. Ich liebe dich so sehr, und je mehr ich dich liebe, umso näher kommt der Augenblick …« Er konnte nicht weitersprechen und rang nach Atem. »Je mehr wir uns lieb gewinnen, umso schneller werden wir einander verlieren.«
Johannes streichelte ihr Gesicht und ihren Hals. »Das mag Judiths letzte und absolute Strafe sein! Ihre Strafe für meine Selbstsucht und meine Feigheit …«
Selbstsucht. Feigheit. Alles in Caroline schmerzte, als sich das Puzzle, das Judiths Fluch war, vor ihrem inneren Auge zusammensetzte. Johannes’ Onkel, des Teufels rußiger Bruder, der ihn vor die schreckliche Wahl gestellt hatte: Liebe oder Karriere. Hatte er ihr gerade die Antwort auf ihre große, brennende Frage gegeben? Ihr schauderte.
Caroline atmete nur mit Mühe. Im
Bimah
herrschte Totenstille. Selbst die kleinen Kerzenflammen waren stet und gerade. Johannes ließ sie nicht aus den Augen, doch sie ertrug seinen Blick nicht, sondern sah stattdessen auf ihre Hände, die gefaltet auf ihren Knien lagen. Sie hob den Kopf nicht. Doch Johannes schien entschlossen, dieses Gespräch zu Ende zu führen. Er wollte es ihr nicht ersparen, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht war es leichter für ihn, wenn sie es teilten. Konnte er wissen, was in ihr vorging?
»Nein, Johannes. NEIN. Das lasse ich nicht zu«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Nein!«
Er küsste ihre Finger zärtlich und nahm dann ihre ganze Hand. »Dann lässt du nicht zu, dass der Wind weht, und verbietest Ebbe und Flut. Ich bin müde, Caroline. All das hier kostet mich so viel Kraft. Und ich weiß nicht, ob ich dich wirklich einnehmen darf. Du bist schön und jung und du LEBST!«
»Und du lebst für immer!«, rief Caroline, nahm ihn bei den Schultern – oh, ihn nur einmal richtig spüren können! RICHTIG! Sie schluchzte den Trotz in ihrer Stimme weg. »Du lebst für immer«, flüsterte sie heiser. »Hörst du mich! Mit mir, Johannes. Mit mir!«
Caroline sah zu den Kulissen, wo die Schatten wirbelten. Sie ballten sich und formten eine Figur, die groß und allbeherrschend wirkte: Caroline erkannte Flügel, zum Gebet gefaltete Hände und einen Mund, den ein geheimnisvolles Lächeln umspielte. Der Engel von Johannes’ Grab! Der Anblick entsetzte sie: Caroline zuckte zurück und schrie leise auf.
»Was ist denn los? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen«, sagte er mit einem schwachen Lächeln und wollte sie wieder an sich ziehen.
Sie schüttelte nur den Kopf, doch er sagte schon: »Niemand ist für die Ewigkeit gemacht.«
Nein, das konnte nicht sein. Umso näher sie einander kamen, umso schneller würden sie getrennt. Ihre Arme und Beine zitterten, als Johannes sie fest und fester
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