Sommernachtszauber (German Edition)
seinen Augen aufblitzen und dann etwas anderes, das sie nicht benennen konnte. Das Geisterlicht schien um sein Leben zu leuchten, als sie ausholte. Mit einem Mal umhüllte ein goldenes Licht Johannes, das Mia blendete. Sie hörte ihn aufschreien, als plötzlich Blut aus der Wunde an seinem Bauch quoll.
Mia schlug blind zu – und traf.
Glas klirrte, Scherben flogen, und die Birne zischte einmal auf. Dann war das Geisterlicht des
Bimah
erloschen.
Mia schlug noch einmal zu, um die Fassung zu zerschmettern, und dann noch einmal, einfach so, aus schierer Wut. Es fühlte sich wunderbar an. Sie starrte auf das kaputte Licht, nun erstaunt über ihre Tat. Eine Weile stand sie stumm neben den Scherben. Sie zitterte noch immer vor Wut, aber in ihr machte sich auch ein warmer Triumph breit. Sie sah sich um.
»Johannes?«
Alles blieb still.
Johannes war verschwunden. Tatsächlich verschwunden.
Kein Geist ohne Geisterlicht, dachte sie wieder matt, aber blickte sicherheitshalber noch mal über ihre Schulter. Nein, niemand. Dennoch hörte sie nun die Eingangstür des
Bimah
mit einem Krachen ins Schloss fallen. Mia zögerte kurz. Wahrscheinlich nur ein Luftzug – in dieser Bruchbude wackelte schließlich alles.
Sie sah wieder auf die Scherben zu ihren Füßen, die leere Bühne und den Saal mit den Stühlen, deren erste drei Reihen sorgfältig beschriftet waren. Das Spiel konnte losgehen. Sie hatte schon gewonnen!
Der Schmerz war zehnmal, hundertmal schlimmer als in Johannes’ Erinnerung. Er wankte Halt suchend zwischen den Kulissen und der Wand, an der eben noch das Geisterlicht geleuchtet hatte. Er sah die Scherben zu seinen Füßen und die zerschlagene Fassung. Als Mia das Licht zerstört hatte, war es, als drängen die Splitter in sein tiefstes Inneres. Doch das war nur ein kurzer, oberflächlicher Schmerz, verglichen mit dem, was wirklich vor sich ging.
Nein, mit ihm geschah etwas anderes, das wusste er. Er hatte die Worte nicht sagen wollen. Die Worte über die Liebe und sein Dasein, das er Caroline widmete. Er hatte sie nicht sagen, nicht einmal denken wollen, denn er wusste, was sie nach sich ziehen würden.
Je mehr er sie gewann, umso mehr verlor er sie.
Das war es, was mit ihm geschah. Die eine Ewigkeit ging zu Ende. Judiths Fluch hob sich von ihm, aber schüttelte ihn wie die zornige Faust eines Riesen noch einmal durch, ehe er ihn in die andere Ewigkeit entließ. Die, die früher so süß und lockend gewesen war. Und die er jetzt so fürchtete.
Er krümmte sich und presste die Hände an seinen Bauch. In seinem Inneren brannte es, als stünde er in Flammen. Er keuchte auf. An seinen Fingern wurde es warm. Vor Entsetzen konnte er sich nicht rühren und starrte auf seine mit klebrigem Rot befleckten Hände. Er blutete! Was sollte das bedeuten? War das das Ende?
»Hilfe«, sagte er leise. »Hilfe.«
Johannes ging in die Knie, als er sah, wie Mia den Besen fallen ließ, sich mehrere Male umschaute und schließlich aus dem Saal lief. Sie drehte sich noch einmal um, wie um sicher zu gehen, dass sie das wirklich getan hatte. Dann war sie weg und er war allein in der nun vollkommenen Dunkelheit des
Bimah.
Johannes sank in sich zusammen. Der Schmerz breitete sich in ihm aus und strahlte von seiner Stirn bis zu seinen Zehen. Plötzlich war er Kräften ausgesetzt, von denen er keine Ahnung gehabt hatte. Diese Schwäche! Licht und Schatten, Hell und Dunkel, Gestern und Heute schienen an ihm zu zerren, gnadenlos.
Johannes konnte nur eines denken: Caroline! Sie brauchte ihn doch morgen bei der Premiere. Sie würde Mia und dieser Mickey ins Messer laufen. Er musste sie unbedingt schützen. Doch er konnte sich nicht mehr von der Stelle rühren …
Weshalb schmerzte der Tod so sehr? Oder war es die Erkenntnis, Caroline nie wiederzusehen, die ihn zerriss? Ja, Mia hatte das Geisterlicht zerschlagen. Doch das hieß nur, dass er sich nicht mehr sichtbar machen konnte. Dies hier war etwas anderes. Er war im Begriff, frei zu werden – zu sterben …
»Caroline«, flüsterte Johannes. »Verzeih!«
Die Welt stand kopf.
Seine
Welt, die auf dieses Theater beschränkt war. Doch dann füllten sich Johannes’ Ohren mit Musik. Leise erst, wie der Auftakt einer Ouvertüre. Dann aber mischten sich seine Gefühle in sein Gehör. Alle seine Sinne schwangen im Einklang, wie er es noch nie erlebt hatte. Der Schmerz verebbte und es wurde heller um ihn. Nein. Noch nicht! Aber er löste sich auf, Leben und Tod zogen an ihm, die Urgewalten
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