Sommernachtszauber (German Edition)
und stemmte die Arme in die Hüften. Wie ruhig das Theater so mitten in der Nacht war. Hatte Caroline hier nie Angst gehabt, wenn sie allein probte? Oder eben nicht allein! Mia sah zum Geisterlicht. Diese blöde Funzel sollte den Geistern den Weg weisen? Nun, das wollte sie doch mal sehen! Gerade war sie in der Laune, sich mit Gott und der Welt anzulegen. Mia räusperte sich. Ihre Stimme klang rau in der nächtlichen Stille.
»Und, bist du da, Johannes? Zeig dich, wenn du dich traust!«, rief sie in den leeren Saal der Bühne entgegen. Ihre Stimme echote durch den Raum, schlug gegen das Geisterlicht und verlor sich in den Kulissen.
War er Manns genug, ihr gegenüberzutreten? Aber was wollte sie eigentlich von ihm? Mit erhobenen Fäusten auf ihn losgehen?
Sie wartete. Nichts regte sich. Das Theater schlummerte seiner großen Stunde entgegen. Die neuen roten Samtvorhänge hingen schwer in ihren Falten. Die frisch gestrichenen Kulissen standen in ihren Schienen. Die Bühne war gefegt und alle Leuchten hatten Birnen. Alle Leuchten. Alle Lampen – Mia stockte der Atem. Sie sah wieder zum Geisterlicht und lachte plötzlich auf. Es klang schrill in ihren Ohren. Was für eine geniale Idee sie da hatte!
Ihretwegen musste sich Carolines Freund nicht zeigen: ihr Geist, ohne den sie nicht konnte und der sie so zum Glänzen brachte. Ihre verdammte, große Liebe!
In Mias Mund breitete sich ein gallenbitterer Geschmack aus. Plötzlich war sie aufgeregt. Ohne ihn
konnte
Caroline nicht? Na dann, prost für die Premiere.
Sie kicherte, als sie die Stufen zur Bühne hochstieg und sich kurz umsah. Sie brauchte eine Waffe. Da: In den Kulissen lehnte ein Besen, den eine der Putzfrauen vergessen haben musste. Wunderbar.
Sie packte ihn und ging zum rechten hinteren Bühnenaufgang, zum Geisterlicht. Da stand sie nun: vor den Kulissen, in die Carlos sie verbannt hatte, damit Caroline strahlen konnte. Dahinter öffnete sich bereits das Labyrinth der Gänge, die zu den Garderoben und Büros führten und in denen es bald vor Schauspielern, Technikern und anderen nur so wimmeln würde. Nur einer sollte fehlen!
Ihre Handflächen wurden feucht und das plötzliche Gefühl ihrer Macht war berauschend. Es war so einfach. Unter der kleinen Lampe legte sie den Kopf in den Nacken und sah nach oben. Das Licht war matt, aber seltsam golden und stet. Wenn es stimmte, was man über die Lampe sagte, lautete der Umkehrschluss: ohne Lampe keine Geister.
Sie kostete ihren Plan ein paar Atemzüge lang aus. Vier Generationen Theaterblut. Da verlor der Aberglauben das
Aber
und wurde zum Glauben. Oh ja, sie wusste genau, was sie tat.
»Na warte, du –«, murmelte sie, ohne genau zu wissen, wen sie bedrohte. Caroline oder den unbekannten Feind? Sie verschmolzen zu einer Einheit. So wie sie es nie mit einem Mann gekannt hatte, dachte Mia bitter. Aber mit Trennungen kannte sie sich dafür umso besser aus!
Sie hob den Arm und –
»Halt!«, rief da eine Stimme direkt hinter ihr. Sie klang hart und kalt.
Mia wirbelte herum und erblickte den schönsten Mann, den sie je gesehen hatte. Obwohl sie sonst nicht auf blond stand. Er war groß, sehr groß, und breitschultrig, sehr breitschultrig. Im Spiel von Licht und Schatten des Geisterlichts sah sein Gesicht, seine ganze Statur aus wie aus Gold gemeißelt. Mia schluckte und ließ den Besen sinken. Gab es das? Dann regte sich ihr Trotz wieder.
»Warum?« Ihre Stimme zitterte, aber sie fasste den Besen fester.
»Weil ich es sage.« Er wollte ihr den Besen wegnehmen, doch Mia war schneller und zog ihn zurück.
»Lass mich raten«, sagte sie dann und stemmte einen Arm in die Hüfte. »Du bist Johannes. Großer Geist und Liebhaber«, sagte Mia, und es sollte spöttisch klingen, doch dann fiel ihr Blick auf die Wunde an seiner Seite. Unwillkürlich keuchte sie auf. »Oh, mein Gott …«
»Du hast recht. Ich bin Johannes«, sagte er und verschränkte ablehnend die Arme. »Und es ist nicht nötig, dass du dich mir vorstellst, Mia. Ich weiß, wer du bist. Oder besser gesagt, ich weiß,
was
du bist …«
»Was bin ich denn?« Mia hob kämpferisch den Kopf. Das war ja interessant.
»Willst du das wirklich hören? Sehr schmeichelhaft ist es nicht.« Er sah sie durchdringend an.
»Ich habe nichts zu verbergen.«
Johannes lächelte. Auf Mias Armen bildete sich eine Gänsehaut. Sie sah auf die Grübchen in seinen Wangen und seine vollen Lippen. Alles an diesem Mund war Erotik. Ein
Geist?
Was für eine Verschwendung!
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