Sommernachtszauber (German Edition)
und konzentrierte sich.
»Oh, Romeo! Warum denn, Romeo?
Verleugne deinen Vater, deinen Namen!
Willst du das nicht, schwör dich zu meinem Liebsten,
und ich bin länger keine Capulet!«
Caroline wartete auf seine Entgegnung. Doch statt seinen Text zu sprechen, fuhr sich Johannes durch die Haare.
»Mehr, Caroline. Mehr. Mehr! MEHR! Mehr von dir und gleichzeitig weniger von dir. Du musst dich und alles an dir voll einbringen. Und dann der Julia den Vortritt lassen.« Johannes ballte die Fäuste und schüttelte frustriert den Kopf.
»Ich kann es nicht«, schluchzte sie und vergrub ihr Gesicht in den Händen. »Ich bin nicht gut genug. Carlos wird mich feuern. Ich kann gleich wieder bei McDoof anfangen. Ich …« Sie verstummte verzweifelt. Sie beide hatten über zwei Stunden geprobt, und sie war so erschöpft, dass sie sich hier auf der Bühne hätte schlafen legen können.
Kraftlos sank sie auf den Boden, schlang die Arme um die Knie und beugte sich vor. Alles an ihr verkrampfte sich. Ihre Müdigkeit vergrößerte jede Angst, jeden Zweifel ins Unendliche. In ihrer Kehle spürte sie den salzigen Geschmack von zu vielen Tränen. Tränen, die sie immer unterdrückt hatte, die sie nicht zeigen konnte.
Sollte alles so kurz vor dem Ziel umsonst gewesen sein? Die Schule, neben der sie, sobald das Gesetz es erlaubte, in einem Schuhgeschäft gearbeitet hatte. Dann die aufreibende Vorbereitung für die Schauspielschule, während sie für Michi immer die Starke sein musste. Sie hatte mit Zähnen und Klauen um die Aufnahme gekämpft und als Kellnerin gearbeitet, um neben dem Stipendium überleben zu können.
Und jetzt? Jetzt war sie fast da, wo sie immer hingewollt hatte und scheiterte an sich selbst. Sie schluchzte auf. Es war ihr egal, ob sie jetzt für den Rest des Abends heulte. Wenn sie in diesem Engagement versagte und das
Bimah
für immer schloss, konnte sie als Schauspielerin einpacken, das wusste sie. Nicht nur für das Theater war das Stück die ultimative Prüfung.
Was hatte Carlos an dem Morgen an der Volksbühne nur in ihr gesehen? Sie krümmte sich wieder. Es schmerzte so sehr in ihrer Brust, dass sie kaum atmen konnte. Statt ihres Herzens saß da nun ein Stein: grau, schwer und leblos.
Nach einer langen Weile bemerkte sie die Stille. Langsam setzte sie sich auf und wischte sich die Tränen vom Gesicht. Alles ruhig und leer. Wo war dieser Johannes? Wollte er sie nicht ermutigen? Oder trösten?
Sie hob den Kopf.
Er war noch immer da, aber beobachtete sie nur still vom Bühnenrand aus. Hinter ihm nahm sie unscharf das Geisterlicht wahr.
Ihre Augen suchten seinen Blick wie eine Bestätigung. Er
wusste
, weshalb und warum. Er war der Einzige, der ihre Verzweiflung teilte. Schon dadurch wurde ihr Leid ein wenig leichter. Sie schluckte. Aber zu ihrer Überraschung entdeckte sie keine Sympathie in seinem Blick, sondern Strenge und etwas wie Verachtung. Seine Augen waren jetzt so dunkel wie ein See bei Mitternacht und sein schöner Mund ernst.
Er schüttelte leicht den Kopf.
»Was?«, schniefte sie und versuchte, ihren plötzlichen Zorn zu verdrängen.
»Das fragst du mich?«, erwiderte er herausfordernd.
»Wen denn sonst?«
»Denk mal nach, Caroline.« Er sah sie spöttisch an. Merkte er nicht, wie schlecht es ihr ging? Ihre Wangen brannten. Sie öffnete empört den Mund, aber schloss ihn dann wieder, ohne ein Wort zu sagen.
»Mich selbst?«, vermutete sie schließlich zögerlich.
Er blies eine Haarsträhne aus seiner Stirn. »Stimmt genau. Wie heißt du noch mal?«
»Caroline Siebert.«
»Falsch. Dein Name ist Caroline
Selbstmitleid
Siebert!«
Sie wollte auffahren, doch er unterbrach sie mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Und genau das kann man hier nicht gebrauchen. Denk mal nach. Wer du bist, wissen wir. Jetzt müssen wir herausfinden, wer Julia ist. In ihrem jungen verwöhnten Leben hat sie nie um etwas so kämpfen müssen, wie du es wohl hast tun müssen. Sie ist nie verraten worden. Sie hat nie Hunger gelitten. Sie lebt in einem Palast, nicht in einer Mansarde. Sie hat keinen kleinen Bruder, für den sie nach dem Selbstmord ihres Vaters die Verantwortung trägt. Julia ist ein verwöhntes Einzelkind, wie es im Buche steht. Alles ist ihr immer von ihren Eltern, ihrer Amme oder eben dem Grafen Paris zu Füßen gelegt worden. Selbst Romeo bietet ihr ja seine lebenslange Liebe und Verehrung einfach so nach dem ersten Treffen an und Julia, der verwöhnte Fratz –«
Caroline musste nun unter
Weitere Kostenlose Bücher