Sommernachtszauber (German Edition)
redeten und redeten. Es war schön, ihr langsam nahezukommen, zu hören, was sie beschäftigte und worüber sie nachdachte.
Caroline war ein Tanz der tausend Schleier, dachte er und sah in ihr ernstes Gesicht. Wie war es möglich, dass sie ihn vor Kurzem noch an Judith erinnert hatte? Sicher, beide hatten lange dunkle Haare und diese großen braunen Augen. Aber in den vergangenen Nächten hatte sie für ihn ein eigenes Gesicht gewonnen. Das Judiths überdeckte, bemerkte er plötzlich.
Sie war wiedergekommen, obwohl er in der ersten Nacht ihr Spiel so schonungslos kritisiert hatte. Er hatte sich selbst dabei gehasst. Doch sie zu sehen, hatte so viel in ihm ausgelöst, irgendwo, in einem geistigen und seelischen Raum zwischen Heute und Gestern, den er schon lange nicht mehr betreten hatte. Es war schrecklich gewesen, sie so weinen zu sehen. Aber wie unglücklich wäre sie, wenn sie die Rolle verloren hätte? Nun war sie auf dem sicheren Weg zu Julia, das spürte er. Zu ihrer Julia. Sie kam ihr nahe, dachte er stolz. Das hatten sie sich zusammen erarbeitet!
Er ging unter das Geisterlicht, um sie noch besser sehen zu können. Wie immer spürte er die Kraft der Lampe durch ihn fluten, die ihn mit Energie und Mut auflud.
Johannes lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme. Mal sehen, was Carlos nun zu Carolines Julia zu sagen hatte! Caroline hatte ihre allerletzte Chance mehr als genutzt. Nein: Sie beide hatten sie genutzt. Etwas war zwischen ihnen gewachsen. Etwas Großes, Namenloses, das alles auslöschte, was vorher gewesen war. Hoffentlich ging es ihr genauso? Der Gedanke erschreckte ihn. Johannes war es nicht gewohnt, aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden. Caroline schaffte das mit einem Wimpernschlag.
So wie jetzt: Ben legte seine Hände auf Carolines Schultern und sie schmiegte sich an ihn.
Pfoten weg, dachte Johannes. Pfoten weg!!! Er ballte die Fäuste und stand ganz still. Still vor Staunen über die Schönheit und gleichzeitig auch die Gewalt des Gefühls. Er wollte Caroline. Wollte sie spüren, halten, beschützen, lieben – alles! Er hätte nicht gedacht, so etwas noch einmal erleben zu können. Er-leben. Das war es: Es fühlte sich an wie etwas lang Vergessenes. L-E-B-E-N.
Er schloss kurz die Augen und suchte Judith noch einmal in seinen Gedanken. Judith und er hatten einige wenige gestohlene Augenblicke miteinander gehabt, in denen sie einander hatten halten können. In denen er alles an ihr gefühlt, sie geschmeckt hatte und in ihr gewesen war, sie überall gespürt hatte, so wie sie ihn. Es war so wunderschön gewesen! Diese Nähe, dieser Rausch, der alles andere auf der Welt ausschloss. Ein Land, in dem nur zwei Leute herrschten.
»Liebende sind Königskinder«, hatte er Judith ins Ohr geflüstert. »Und du bist meine Prinzessin.«
Ein Schauer überlief ihn bei der Erinnerung. Judith und er hatten sich damals auf den Dachboden des Bimah gestohlen, denn den Weg dorthin hatte nur sie gekannt. Die Tür, die sie als Kind beim Spielen entdeckt hatte, lag hinter einem alten Schrank auf dem obersten Stockwerk. Dorthin zog er sich noch immer zum Denken und Ruhen zurück. Dorthin folgte ihm nun Caroline in seinen Gedanken. Er dachte an ihre Hand auf seinem Arm – Caroline hatte ihn gespürt!
Die Erinnerung daran, obwohl es nur eine Hand auf einem Arm gewesen war, erschütterte ihn. Er war seit vielen Jahrzehnten wie ein Hauch: stark. Schnell. Unsichtbar oder sichtbar, wie es ihm gerade gefiel. Und nun wurde er neben ihr, mit ihr oder durch sie wieder zum Körper. Er wurde wieder zum Mann. Der Gedanke machte ihm Mut und Angst zugleich. Konnte er sich so an Caroline verlieren? Durfte er es, auch ihr zuliebe?
Spiel? Heiliger Ernst? Und Judiths letzte Worte an ihn: Ich verfluche dich auf alle Zeit, bis du dich selbst vergisst. Bis du dein Vergehen heute wiedergutmachst. Erst dann sollst du frei sein …
Was bedeuteten sie für Caroline und ihn? Bei diesen Gefühlen, die er für sie entwickelte? Er vertrieb die Gedanken und konzentrierte sich auf die Bühne, wo Caroline und Ben sich nun räkelten. Seine Hand lag auf der dünnen Seide ihres Nachthemdes unter ihrem Busen. Sie drückte sich an ihn. Und wie sie spielte! Johannes spürte geradezu die verliebte Morgenschwere in Carolines Gliedern, das Entzücken nach der ersten Nacht mit dem Geliebten.
Sie tauschten die ewigen Worte aus von Nachtigall und Lerche, vom Morgen und dem Abend, alles, nur um sich nicht trennen zu müssen, um noch einen
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