Sommernachtszauber (German Edition)
will.«
Das Leuchten des Geisterlichts umfloss ihn wie Gold, doch in seinen Augen las Caroline Stolz und Pein. Ebenfalls allzu Menschliches. Als sie sich zum Gehen wandte, sah sie plötzlich, nur einen Wimpernschlag lang, noch ein anderes Gefühl darin aufflammen: Schuld.
Schuld. Weshalb? Wem gegenüber? Was war geschehen, dass jemand einen jungen starken Mann erstach? Und weshalb war er noch immer da ? Sein Schwanken zwischen Freude und Melancholie, Scherz und Ernst nahm sie gefangen. Er war ein wandelndes Geheimnis, das sie lösen wollte. Ein ausgesprochen gut aussehendes und einfühlsames Geheimnis, wie sie zugeben musste. Johannes war – einmalig. Caroline merkte erst, wie tief sie Johannes’ Schicksal berührte, als sie an der Ecke zum Ku’damm gegen einen Laternenpfahl lief.
»Autsch«, murmelte sie zornig und hielt sich den Kopf. Das Letzte, was sie live on stage brauchte, war eine dicke Beule auf der Stirn.
Sie ging langsamer weiter und achtete nun auf jeden Schritt. Zeit, nach Hause zu gehen. Zeit zu schlafen, wenn sie es konnte. Sie dachte wieder an ihn, der nicht aß, schlief oder atmete. Aber der auf sie wartete, dort im Schein des Geisterlichtes.
Schuld, dachte sie wieder, als sie in den Schacht der U-Bahn eintauchte, um noch den letzten Zug zu erwischen. Schuld, woran?
Caroline winkte Mia zu, doch die erwiderte den Gruß nur mit einem knappen Kopfnicken.
Welche Laus ist der denn über die Leber gelaufen?, wunderte sich Johannes. Er war überhaupt erstaunt, Mia dort zu sehen. In den letzten Tagen war sie während der Proben häufig in der Garderobe geblieben.
Dort gehörte sie auch hin, dachte er und korrigierte sich gleichzeitig: Sie hatte schließlich niemandem etwas getan. Im Gegenteil: Sie hatte die begehrte Rolle nicht bekommen und war doch sportlich genug, um die Maske und die Requisite zu übernehmen. Nein, eigentlich konnte man Mia nichts vorwerfen. Aber irgendwie verwahrte sich sein Innerstes gegen sie. Reiner Instinkt. Aber weshalb nur? Hatte er Caroline und Mia nicht eben noch als beste Freundinnen erlebt? Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Caroline.
Gerade da drückte sich Ben an ihm vorbei und zog sich im Laufen sein T-Shirt über den Kopf. Er zwinkerte Caroline zu und hechtete hinter ihr auf das ausgessene Sofa, das Mia aus dem Sperrmüll rekrutiert hatte.
Konnte der Typ nicht mit Mia so flirten, wie er es mit Caroline versuchte?, dachte Johannes wütend. Er stellte sich nun neben Mia, um besser sehen zu können, wandte sich der Bühne zu und biss die Zähne zusammen, als Ben sich hinter Caroline kuschelte. Er schlang von hinten einen starken Arm um sie und zog sie fester an seine nackte, muskulöse Brust. Hinter ihnen hing ein zerfetzter roter Samtvorhang von der Decke bis auf die kahlen Bretter. Sonst war die Bühne, abgesehen von einer Rüstung aus Altmetall, die Simone gebaut hatte, leer.
Modern und mittelalterlich zugleich, dachte Johannes. Nicht schlecht. So etwas wäre ihnen zu seinen Zeiten nicht eingefallen. Da hatte Romeo und Julia eben genauso auszusehen, wie Verona im späten Mittelalter oder der frühen Renaissance wohl ausgesehen hatte.
Johannes durchbohrte Ben mit seinen Blicken: Wie lebendig er wirkte! Der Gedanke gab ihm einen Stich. So, wie er selbst, ehe der liebe Onkel Georg zu ihm in die Garderobe gekommen war. Und ehe Judith gegangen war … oder nicht gegangen war. Sie war im Gang stehen geblieben und hatte sie belauscht. Ihr Urteil über ihn raunte in seinem Inneren seit vielen Jahrzehnten.
Ich habe alles gehört. Jedes verwerfliche Wort der Entscheidung, vor die ihn Georg Steiner damals gestellt hatte.
»Alles klar so, Caroline?«, fragte Ben gerade sanft.
»Alles klar, Ben«, erwiderte sie professionell und rückte etwas von ihm ab. Doch Ben machte den kleinen Spalt, der sich zwischen ihnen gebildet hatte, gleich wieder gut.
Johannes wurde heiß bei dem Anblick der beiden auf der Bühne. Die Morgenszene.
Wie musste es sein, Caroline so zu halten? So eng, so warm, so vertraut? Er hatte sie schon berührt: an der Schulter oder am Arm und war ihrem Hals und ihrem Ohr ganz nahegekommen. Sie kamen sich immer näher … jeden Abend. Seit Carlos ihr die letzte Chance gegeben hatte, waren beinahe vier Tage vergangen. Die Woche Chance, die er ihr gegeben hatte. Tage, Stunden, Minuten, Sekunden – mit Caroline vergaß er das Zählen. Solange sie nur immer wiederkam, jeden Abend. Sie arbeiteten hart und genossen die Pausen, in denen sie redeten,
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