Sommernachtszauber (German Edition)
Atemzug und einen Kuss zu teilen.
Johannes biss sich auf die Lippen. Wie gut sie das machte. Zu gut . Er war stolz auf Caroline: Sie ließ sich selbst beiseite, so wie er es ihr jeden Abend wieder sagte. Er musterte sie, und als er an die Pausen zwischen dem Spiel dachte, an das Trösten und Versöhnen nach den heftigen Diskussionen über ihr Spiel, wurde ihm von innen heraus warm.
Wann war Premiere? Es gab noch viel zu tun. Viele wunderschöne Abende lang.
Auf der Bühne schreckte Caroline nun auf. Entsetzen sprang aus ihrer Kehle, als sie die Decke vor ihre Brust raffte, aufsprang und keuchte: »Stets hell und heller wird’s, wir müssen scheiden!«
Ben sah zum imaginären Fenster, vor dem der zerfetzte Vorhang hing, schlug sich die Hände vors Gesicht und schnappte sich seine Lederweste, die er zuvor achtlos auf die Bretter geworfen hatte.
»Stets heller – und stets dunkler unsre Leiden!« , stieß er verzweifelt hervor. Dann beugte er sich zu ihr und küsste sie. KÜSSTE sie richtig, das konnte Johannes sehen. Tief, leidenschaftlich, mit brennender, verzweifelter Gier nach dem Mehr , das es für Romeo und Julia nicht geben würde.
Bens Finger wühlten sich in Carolines lange dunkle Haare, während ihre Hände sich beinahe abwehrend auf seine Schulter legten. Sie schob ihn weg, doch es wirkte noch wie ein Teil des Stückes: schob ihn weg, um ihn zu locken. War es ein Mehr , das für Ben und Caroline möglich war? Der Gedanke brannte wie Feuer.
Johannes erreichte den Siedepunkt, als er sich umdrehte, um die beiden dort auf der Bühne nicht mehr sehen zu müssen.
Dafür sah er nun Mia, die hinter ihm stand: Sie hatte die Arme verschränkt und ihre Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepresst. In der Dunkelheit leuchteten ihre hellen grauen Augen wie die einer Katze, die eine Maus beobachtet. Vor dem Sprung, vor dem Spiel, vor der Qual. Johannes runzelte die Stirn. Was war hier los? Natürlich, sie hatte diese Szene beim Vorsprechen gewählt, doch war das Grund genug, um jetzt so wütend zu sein?
Ben jagte davon. Caroline sank auf dem Sofa zusammen, schloss die Augen und legte sich die Finger in der Erinnerung an ihre Leidenschaft auf die vollen Lippen. Eine Geste, die so verführerisch und doch so verletzlich zugleich wirkte, dass Johannes sich an der Kulisse festhalten musste, um nicht zu ihr zu springen und sie an sich zu reißen.
Plötzlich schreckten ihn die Ewigkeit und sein Dasein nicht mehr. Denn es gab hier und heute Hoffnung. Caroline konnte mit seiner Hilfe zu ihrer vollen Größe gelangen. Er lockerte seinen Griff. Es war schön, nach so langer Zeit wieder an jemand anderen zu denken als nur an sich selbst und das, wozu er verdammt war.
In diesem Augenblick sprang auch Carlos auf und klatschte begeistert in die Hände. »Bravo! BRAVO! Das war gut. Ach was, das war – klasse! Caroline, du kannst es. Ich habe es gleich gewusst. Du kannst es! Sex und Unschuld in einem! Wir wünschen uns alle zu euch aufs Sofa und denken an unsere erste, tiefe, reine Liebe. So soll es sein! Genau so!« Er ballte triumphierend die Fäuste.
Caroline war blass, aber sie lächelte. Sie setzte sich auf, zog die Knie an und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Dann ließ sie ihren Blick durch das Theater schweifen, ehe er am Geisterlicht hängen blieb.
Hier bin ich, dachte Johannes und erkannte an ihren Augen, dass sie seine Anwesenheit spürte. Hier!
»Du hast die Rolle! Jetzt hast du sie wirklich, meine ich. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber jetzt begreifst du Julia!«, rief Carlos begeistert.
Caroline lächelte kurz, nur für ihn, das spürte Johannes. Sie lächelte zwar zu Carlos und Simone auf ihren Klappstühlen, doch dann zu den Kulissen, wo er noch immer neben Mia stand.
Oder nicht mehr neben Mia stand: Als er sich umdrehte, sah er sie gerade noch davonstürmen, die Fäuste geballt und die Schultern hochgezogen. Vor lauter Gedanken über Caroline und ihn hatte er nicht mehr auf sie geachtet. Was war denn los? Er schien nicht der Einzige zu sein, der von starken Gefühlen gebeutelt wurde.
Egal, entschied Johannes. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Caroline zu. Ben kam gerade zu ihr und küsste sie auf beide Wangen.
»Das war einfach fabelhaft. Du hast mich mitgerissen. Wollen wir das nachher feiern gehen?«
»Nein, lieber nicht. Ich habe noch zu tun.« Ihre Stimme klang ausweichend, doch Johannes freute das. Dann würde sie heute Abend wieder zu ihm kommen. Sein Warten auf
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