Sommernachtszauber (German Edition)
Man wird hineingeboren und will nicht hinaus. Das Theater und der Film waren alles, was ich mir vorstellen konnte. Und du? Wie war das bei dir?«
»Ganz anders. Ich bin in eine Welt geboren, die im Vergleich zu deiner nicht unterschiedlicher sein könnte.«
»Das weiß ich«, sagte er schlicht. »Ich habe alles mitgehört. Was zog dich denn zum Theater? Der Gedanke an Ruhm und Glanz?«
Sie überlegte. »Nein. Oder vielleicht doch, aber in all seinen Facetten. Als ich neun oder zehn war, schenkte mir mein Vater ein Buch, das er auf dem Flohmarkt gefunden hatte. Jede Seite darin war einer anderen Schauspielerin gewidmet, ihren Filmen und ihren Stücken. Dieses Buch hat mich in eine andere Welt entführt. Ich konnte mich in ihre Gesichter versenken, mit ihnen leiden und lieben. Wenn ich im Kino saß, dann verwandelten sich die Gesichter der Zuschauer: Sie waren der Wirklichkeit entflohen und ganz im Film, mit der Heldin. Das wollte ich auch geben können. Diese Macht wollte ich auch haben. Das Buch ist noch heute mein größter Schatz. Vor allen Dingen, seit …« Sie unterbrach sich kurz. »Vor allen Dingen, seit mein Vater gegangen ist.«
»Kannst du ihm verzeihen?«
»Eines Tages vielleicht …«, sagte sie ausweichend.
»Du musst. Ich kannte meinen Vater nie. Meine Mutter hat mir nie seinen Namen genannt. Eine Katze wäre eine bessere Mutter gewesen und doch liebte ich sie. Eltern haben eine seltsame Macht über einen.« Er zögerte. »Heute ist meine Mutter lange tot und doch denke ich oft an sie.«
Schweigen nistete sich zwischen ihnen ein, doch es war friedlich und hatte nichts Peinliches an sich. So, wie sie es selten oder noch nie mit jemandem erlebt hatte. Caroline überlegte. Ab und an warf sie ihm verstohlene Seitenblicke zu. Johannes lag lang hingestreckt auf seiner Seite neben ihr auf der Bühne. Was dachte er nun? Was bewegte ihn? War in dem so gut aussehenden jungen Mann irgendwo noch immer der kleine Junge versteckt, der sich nach seiner Mutter sehnte?
Sie selbst hatte immer viel Liebe bekommen, auch wenn es an allem anderen gehapert hatte. Es stimmte: Ihr Vater hatte sie geliebt, solange er gelebt hatte. Das wusste sie. Und heute liebte Michi sie. Vorsichtig sagte sie deshalb: »Kein Wunder, dass du das alles hier so sehr wolltest.«
»Was meinst du damit – das alles?«
Er klang mit einem Mal abwehrend, doch Caroline gab nicht nach. Sie würde dem Treibsand nicht erlauben, sie auseinanderzudrängen. Sie zuckte mit den Schultern. »Na eben das alles. Ruhm. Anerkennung. Größe …« Dann zögerte sie, ehe sie leise hinzufügte: »Liebe.«
Er sah sie scharf an, doch nickte dann nur stumm. Einige Augenblicke verstrichen. Caroline nahm allen Mut zusammen, ehe sie flüsterte: »Johannes?«
»Ja?« Sie spürte seine plötzliche Anspannung. Bewegte sie sich auf vermintem Gebiet?
»Weshalb bist du hier? Ich meine, als …«
Er schüttelte den Kopf und stand in einer einzigen geschmeidigen Bewegung auf. Sie tat es ihm gleich. »Lauf nicht weg!«, bat sie und legte instinktiv ihre Hand auf seinen Arm. So ein Quatsch, weshalb tat sie das? Sie konnte ihn nicht berühren.
Aber nein! Jetzt fühlte sie ihn. Er war da! Kein Hauch, keine Einbildung, sondern ein Mann, hier neben ihr. Caroline keuchte auf, und auch Johannes tat vor Schreck eine kleine Bewegung von ihr weg, doch sie ließ ihn nicht los. Wie kam das?
»Bleib! Bleib bei mir. Antworte mir. Weshalb bist du hier?«, wiederholte sie noch einmal, drängender. Sie zeigte auf die Wunde. »Was ist mit dir geschehen? Wer hat dir das angetan? Und – warum?«
Er schüttelte nur den Kopf. »Ich kann es dir nicht sagen«, flüsterte er. Jedes Wort schien ihm Mühe zu bereiten. »Es ist zu schlimm.«
Was sollte sie tun? Er konnte es ihr nicht sagen. Irgendwie hatte sie erwartet, dass sie einander alles sagen konnten, vielleicht, weil er bereits ihr größtes Geheimnis kannte.
Caroline seufzte, ließ ihn los und fasste ihren Beutel. Sollte sie gehen? Doch nun legte er rasch die Hand auf ihren Arm. Caroline sah auf seine langen eleganten Finger. War sie jetzt komplett übermüdet oder spürte sie diese Berührung ebenfalls? Das war doch nicht möglich. Oder – machte das ihre Nähe zu ihm aus? Ihre Empfindungen? Caroline musste schlucken.
»Kommst du morgen wieder?«, fragte er.
»Soll ich?«
Er nickte. »Bitte.« Dann schien er all seinen Mut zusammenzunehmen. »Willst du?«
Sie musste keinen Herzschlag lang überlegen. »Ja, Johannes. Ich
Weitere Kostenlose Bücher