Sommernachtszauber
stell mich hinter dich und drück auf dein Brustbein – oder vielleicht die Luftröhre? Ich hab diesen Heimlich-Handgriff im Erste-Hilfe-Kurs gelernt – halt dich fest, und ich presse und stoße und presse und stoße …«
»Sag nichts!« Eine vornehm klingende Stimme drang durch das Heulen des Windes. »Lass mich raten – ob das wohl ein neues Paarungsritual der Prolo-Lesben sein soll …?«
Als die Kirsche mit Brechreiz auf den Parkplatz flog, riss Sukie sich von Chelsea los und sah, dass ein langer, niedriger silberner Wagen vor dem Pub angehalten hatte. Sie stöhnte auf. In makellosem Kostüm und mit glänzendem Haar lachte Milla ihr vom Fahrersitz her zu.
»Bei ihr saß eine Kirsche fest«, fauchte Chelsea.
»Ich will gar nicht wissen, wo oder warum – mich kann nichts mehr überraschen«, kicherte Milla und betätigte den elektrischen Fensterheber. »Ach, Sukie, wir verbringen den Abend in Reading, und ich komme wahrscheinlich erst spät nach Hause, wenn überhaupt. Bis dann. Viel Spaß!«
Wir? Zu spät erkannte Sukie, dass Milla in Begleitung war. Auf dem Beifahrersitz saß Derry Kavanagh, sein aschblondes Haar leuchtete über einem dunklen Oberteil. Er sah hinreißend aus. Er sah sie an. Und lachte.
4. Kapitel
V alerie Pridmore musste gestern Abend ins Haus getragen werden!«, ertönte Marvin Bensons Stimme aus dem Esszimmer des Bungalows. »Es war schon fast Mitternacht. Und ihr ungehobelter Ehemann hat dazu noch gelacht. Gelacht – ich bitte dich! Man muss sich ja schämen, mit solchen Leuten Tür an Tür zu wohnen. Sie drücken das ganze Niveau dieser Siedlung. Die Frau ist praktisch Alkoholikerin. Jocelyn! Hörst du mir überhaupt zu? Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
In der Küche starrte Joss Benson aus dem Fenster in den grauen und leblosen Märzgarten hinaus. Was für ein kläglich enttäuschender Monat der März doch war: zu spät für nennenswerte und anhaltende Schneefälle, die den öden Anblick in ein Winterwunderland hätten verwandeln können, und zu früh für sinnenfrohe Tage voll herrlichem Sonnenschein und Vogelgesang und bunter Blumenpracht.
Wie wunderbar wäre es doch, so nach Hause getragen zu werden, lachend und sturzbesoffen.
Ach, die glückliche Valerie Pridmore.
»Jocelyn!«
Joss riss sich aus ihren Träumereien über ausgelassenes trunkenes Gelächter. Sie hatte sich weitaus Wichtigerem zu widmen. Dazu gehörten Marvins Frühstück, sein Aufbruch zur Arbeit, und weil es Mittwochvormittag war, hatte sie dann die Schlafzimmer zu putzen, die Fußböden zu polieren, den Weg zu fegen und den Müll in die Wertstofftonnen zu sortieren – und dann war da natürlich noch ihre eigene Arbeit.
Im Grunde genommen war es keine richtige Arbeit und eigentlich auch nicht wirklich ihre eigene, aber -
»Jocelyn!« Marvins Stimme klang eine Nuance höher und eindeutig gereizt. »Es ist sieben Uhr dreiundvierzig!«
»Und um sieben Uhr fünfundvierzig muss mein Frühstück auf dem Tisch stehen, damit ich den Zug um acht Uhr fünfundvierzig bekomme«, sprach Joss lautlos mit, während sie das Tablett hochnahm. »Ich komm schon, Marv.«
Sie betrat rückwärts das Esszimmer und lächelte. Marvin verabscheute diese Abkürzung zutiefst.
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst mich nicht Marv nennen. Und hast du gehört, was ich über Valerie Pridmore erzählt habe?« Marvin rückte das gekochte Ei, Toast, Kaffeekanne, Butter und Marmelade in genau die Anordnung, in der er seit dreißig Jahren sein Frühstück einnahm. »Der Toast ist angebrannt.«
Joss zuckte die Schultern. »Ist er nicht. Nur ein bisschen dunkler als sonst. Und ja, ich habe gehört, was du über Val gesagt hast. Hast du den Pridmores gestern Abend wieder hinterherspioniert?«
»Ich spioniere nicht, Jocelyn. Ich beobachte lediglich. Und der Toast ist eindeutig angebrannt.«
Marvin verbrachte schrecklich viel Zeit damit, hinter den Gardinen zu stehen und das Kommen und Gehen in der Bungalowsiedlung The Close zu beobachten. Insbesondere, wenn er nachts noch mal zum Pinkeln rausmusste. Er sagte immer, es gehöre zu seiner Aufgabe als Koordinator der Nachbarschaftswache, über die Vorgänge in Bagley-cum-Russet auf dem Laufenden zu sein.
Joss aber wusste, dass er es tat, weil er neugierig und engstirnig und spießig und ein Spaßverderber war.
Sie setzte sich ihm gegenüber, wie immer, aß nichts, goss sich eine Tasse Kaffee ein und versuchte, sich ihren Ärger nicht anmerken zu lassen. Sie hätte sich an Marvins
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