Sommernachtszauber
wischte. Sie hätte sich von Anfang an mehr durchsetzen müssen. Das Nachgeben war ihr zur Gewohnheit geworden – wie auch das Fortdauern der Ehe mit Marvin und alles andere …
Nun waren nur noch die Schlafzimmer zu machen. Eigentlich nur ihr gemeinsames Schlafzimmer – die beiden anderen wurden nicht benutzt. Nicht mehr. Besuch bekamen sie nie, und die Kinder waren schon lange ausgeflogen und übernachteten nicht mehr zu Hause. Was in gewisser Weise ein Segen war. Joss seufzte erneut. Es war sicher herzlos und unnatürlich, die eigenen Kinder nicht sonderlich zu mögen, dachte sie, während sie die cremefarbenen Bettbezüge auf ihrem und Marvins Bett zurechtzog, ein Doppelbett mit getrennten Laken und Decken, ein Doppelbett, in dem sie beide Seite an Seite schliefen und doch Lichtjahre voneinander entfernt – aber andererseits mochten die Kinder sie scheinbar auch nicht so besonders.
Vielleicht urteilte sie zu hart. Sie zeigten Zuneigung auf distanzierte Art und vergaßen niemals einen Geburtstag oder Weihnachten, aber sie führten eben ein sehr geschäftiges Leben mit ihren geschäftigen, aufstrebenden Partnern. Vielleicht, wenn sie selbst Kinder hätten … Joss schüttelte den Kopf. Sie bezweifelte, dass einer ihrer Sprösslinge seine Karriere aufs Spiel setzen würde, um Nachwuchs großzuziehen.
Ossie und Tilly waren immer wie kleine Marvins gewesen – wahrscheinlich, weil er der starke, dominante Elternteil war, sie hingegen die Figur im Hintergrund, die Liebe und Umarmungen und Ermutigungen an einen Sohn und eine Tochter verschwendet hatte, die von klein auf gar keine Verwendung dafür zu haben schienen.
Zu spät, es lässt sich nicht mehr ändern, dachte Joss, warf noch einen letzten Blick auf das nüchterne Schlafzimmer und schloss die Tür. Viel zu spät.
»Juhu!« Ein fröhlicher Ruf aus der Küche unterbrach ihre Melancholie. »Joss?«
»Hier bin ich!« Joss eilte durch den frisch glänzenden Flur in die Küche und freute sich über Valeries ausgelassenen Willkommensgruß. »Komme schon – warum bist du nicht bei der Arbeit? Oh …«
»Hab mir beim Tanzen das Bein verstaucht«, erklärte Valerie unbekümmert. »Gestern Abend. Da dacht ich mir, vielleicht magst du auf ein Tässchen und ein Schwätzchen zu mir rüberkommen?«
»Aber gern!« Joss warf die Putzutensilien in den Küchenschrank. »Soll ich Kekse mitbringen?«
»Nur wenn du diese edlen Teile von Marks and Sparks dahast«, kicherte Valerie über die Schulter hinweg und hopste zur Hintertür. »Die sind immer eine willkommene Abwechslung zu unseren Supermarktdingern.«
Das war Joss’ einziges großes Laster, ein Geheimnis, von dem Marvin nichts wusste: unerlaubte Kaffee- und Plauderstündchen mit Valerie Pridmore im Bungalow nebenan. Auf diese Weise war im Lauf der Jahre zwischen zwei Frauen, die außer ihrem Alter und der räumlichen Nähe ihrer Häuser eigentlich gar nichts gemeinsam hatten, eine tiefe Freundschaft entstanden.
Später saßen sie in Valeries vollgestopfter, warmer und schlampig gestrichener Küche und hatten zwischen Teetassen und Kekskrümeln die Ellbogen auf dem Tisch.
Joss wusste nun alles über den katastrophalen Sturz beim Cancan-Tanzen und die darauf folgende Einkehr im Barmy Cow und die erstaunliche Wirkung mehrerer Gläser Gin in Verbindung mit der Hand voll Schmerztabletten, die andere Tänzerinnen Valerie verabreicht hatten. Joss wünschte, sie könnte ähnlich wilde Geschichten erzählen, aber wie üblich gab es aus ihrem Leben nichts Interessantes zu berichten.
»Ich muss so bald wie möglich wieder zur Arbeit«, sagte Valerie und strich sich das wuschelige dunkle Haar aus dem Gesicht. »Den ganzen Tag zu Hause – das ertrag ich nicht. Ich versteh nicht, wie du das aushältst.«
»Du kannst mir glauben, ich hab schon oft daran gedacht, wieder zu arbeiten – aber Marvin will nichts davon wissen. Er sagt, ich hätte mehr als genug zu tun. Und wahrscheinlich bin ich inzwischen sowieso unvermittelbar. Vor unserer Heirat war ich Stenotypistin.«
»Ach du liebe Zeit!« Valerie prustete Stückchen von Marks and Spencers Edel-Keksen über den Tisch. »Diesen Beruf gibt’s ja gar nicht mehr! Heutzutage läuft das doch alles mit Computern und so Zeugs. Du musst eine Umschulung machen. Am Winterbrook College gibt’s Wiedereingliederungskurse.«
»Ja, ich hab mir das Programm angesehen – aber ich fand es ziemlich einschüchternd – selbst wenn Marvin es erlauben würde.«
»Du müsstest dich mal
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