Sommernachtszauber
Fiddlesticks glaubte man an die Macht der Sterne. Es gab regelmäßig die wildesten Open-Air-Partys, weil die Dorfbewohner überzeugt waren, der Mond und die Sterne würden über ihr Schicksal walten. Nun, wahrscheinlich glaubten sie heutzutage nicht mehr so fest daran, aber die Partys feierten sie immer noch.
Joss fand das herrlich. Marvin natürlich nicht.
»Sieh an, Simon und Sonja sind uns zuvorgekommen – und haben sich natürlich gleich den Tisch am Kamin geschnappt.« Marvin rieb sich die Hände. Eine unangenehme Angewohnheit. Joss war oft in Versuchung, in seine Handcreme Sekundenkleber zu mischen. »Am besten, du holst schon mal die Getränke.«
Joss sah dem sich entfernenden Rücken im Tweedjackett nach. Getränke für alle? Was in aller Welt tranken Simon und Sonja denn? Wusste sie das noch? Interessierte es sie? Kümmerte es sie?
»Äh, ein großes Glas trockenen Weißwein, bitte«, sagte sie lächelnd zu der älteren Frau hinter der Theke. »Und bitte eine große Schorle für mich. Und noch mal das Gleiche von dem, was die anderen …« Joss deutete zu Sonja und Simon am Kamintisch. »… hatten. Danke.«
»Sie haben dasselbe bestellt wie Sie«, erklärte die Frau. »Nur dass sie weder bitte noch danke gesagt haben.«
Joss lächelte teilnahmsvoll. Das taten sie nie. »Es ist so ruhig hier heute Abend.«
Die Frau schenkte den Wein ein. »Ruhe vor dem Sturm. Heute ist ein Jungesellinnenabend angesagt. Wir sind nur an diesem Abend zur Aushilfe hier, weil der Wirt und seine Freundin heiraten werden. Er ist mit seinen Kumpels nach Blackpool gefahren, und sie gibt ihre Party hier – rosa Feen ist wohl das Motto. Ein reizendes Mädchen, die junge Fern, aber etwas Feenhaftes hat sie nun wirklich nicht an sich. Hier wird bald die Hölle los sein, glauben Sie mir.«
Joss lächelte verzückt. Das würde nicht nur Marvin zur Weißglut treiben, sondern für sie den Samstagabend auch unheimlich aufpeppen.
»Wenn es nachher so voll wird, nehme ich vielleicht besser gleich zwei ganze Flaschen Wein und Soda mit.«
»Gute Idee. Ich hole Ihnen einen großen Kübel«, lachte die Bedienung. »Natürlich nicht, um daraus zu trinken. Nur um Ihren Chardonnay kühl zu stellen.«
Joss lachte mit. Dann verdrängte sie die köstliche Vorstellung, wie Marvin aus einem Eimer schlürfte, nahm den Wein und den Eiskübel, stellte die Gläser auf ein Tablett und bezahlte.
»Sehr schön. Vielen Dank. Übrigens wollten wir heute Abend hier auch etwas essen. Hat das andere Ehepaar schon um die Speisekarte gebeten?«
»Nein, aber das hätte auch nichts gebracht. Timmy Pluckrose hat normalerweise eine weit gefächerte Speisenauswahl, aber wie ich schon sagte, sind wir nur als Wochenendaushilfen hier. Ich koche nur ein paar Hauptgerichte. Wenn Sie essen wollen, sollten Sie lieber bald bestellen, wegen der Party. Es gibt Steak and Kidney Pie oder einen Eintopf mit Kräuterklößen – wahlweise mit Rindfleisch oder mit Gemüse. Als einzigen Nachtisch gibt’s Spotted Dick, also Rosinenpudding mit Vanillesoße.«
Joss hätte am liebsten vor Freude einen Luftsprung gemacht. Das wurde ja immer besser!
»Ganz hervorragend. Ich sage nur eben den anderen Bescheid und komme gleich wieder.«
Behutsam trug Joss das voll beladene Tablett zum Tisch am Kamin. Marvin blickte nicht einmal auf.
Simon und Sonja, sportlich schlank und topmodisch gekleidet, lächelten flüchtig in ihre Richtung, für die Getränke bedankten sie sich nicht. Sie waren offenbar zu sehr mit Marvin ins Gespräch über die Highlights der überaus reichhaltigen Speisekarte vertieft, die auf Tafeln an den buckligen Wänden des Pubs ausgehängt war.
»Ähem«, Joss setzte sich, »es ist zwecklos, sich von dort etwas aussuchen zu wollen. Der Wirt ist nicht -«
Die anderen unterbrachen ihr Gespräch für einen Moment, sahen sie an, als sei sie ein störendes Insekt, und sprachen dann weiter.
»Marv …«
»Ts, ts, ts«, machte Sonja. »Marv? Marv? Das klingt ja wie der Name eines alten Soulsängers! Liebe Güte, Simon würde sofort die Scheidung einreichen, wenn ich ihn Si nennen würde.«
Wenn es doch nur so einfach wäre, dachte Joss boshaft.
»Jocelyn weiß, dass ich es nicht ausstehen kann, Marv genannt zu werden«, knurrte Marvin. »Sie muss es vergessen haben.«
Joss holte tief Luft und ignorierte Marvins finstere Miene. Er hatte wieder dieses puterrote Gesicht mit den leicht pulsierenden Halsschlagadern. »Die Dame hinter der Theke erklärte mir eben, dass
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