Sommernachtszauber
die Schultern. Das T-Shirt rutschte noch tiefer. »Ja, noch immer. Blöde Kuh, die ich bin. Ich werde ihn ewig lieben, aber ich weiß auch, dass er nie zurückkommen wird. Das wurde ja unmissverständlich klar, als er mich sitzen ließ – und meine Eltern werden ihm nie verzeihen, dass er so kurz vor der Hochzeit abgehauen ist. Das hätte sie gesellschaftlich beinahe ruiniert.«
Sukie sammelte ihre Flaschen ein. »Wen auch immer du am Ende nimmst, Milla, musst du selbst entscheiden, nicht deine Eltern. Wären sie denn mit Derry nicht einverstanden?«
»Wahrscheinlich nicht. Ach, er würde ihnen schon gefallen, wenn er ihnen irgendwelche maßgeschneiderten Möbel anfertigen würde – und sie bei ihren Freunden damit angeben könnten, dass sie diesen »brillanten kleinen Handwerker aufgetan« hätten – aber nicht als potenzieller Schwiegersohn. Wenn es nach ihnen ginge, sollte ich mich nach so einem wie diesem verfluchten glatzköpfigen, zahnlosen Baron umsehen.«
»Das sollte eigentlich jede Frau«, flachste Sukie und überlegte, ob die Heilwirkung der Butterblumen, die sie am Wochenende im Garten gepflückt hatte, wohl gut mit den Eigenschaften des Tausendschöns harmonierte, das sie bereits in das Öl für geschmeidige Zockerfinger gemischt hatte.
»Du würdest nicht des Geldes wegen heiraten, oder?«
»Nicht, wenn nicht außerdem noch jede Menge Liebe mit im Spiel wäre.«
»Ach, Liebe und Geld …« Milla drückte ihre Zigarette aus, rutschte vom Tisch und rückte ihr T-Shirt wieder schicklich zurecht. Bedauerndes Seufzen erklang aus dem Wohnzimmer. »Bei Bo-Bo gab es beides. Wir hatten den gleichen sozialen Hintergrund, Familien derselben Einkommensklasse, den gleichen Lebensstil, gemeinsame Freundeskreise … Wir hatten die gleichen Ansichten und Vorlieben. Wir waren ein ideales Paar.«
»Wenn er nur nicht im letzten Moment gekniffen hätte«, sagte Sukie, weil sie das Gefühl hatte, hier sei Schonungslosigkeit angebracht, um Derrys gesellschaftlichen, beruflichen und finanziellen Stand zu verteidigen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Derry so etwas täte.«
»Ich auch nicht.« Milla reckte sich. »Vielleicht ist er viel zu gut für mich. Warum in aller Welt muss das mit der wahren Liebe immer so kompliziert sein? Warum scheint immer jeder in den falschen Menschen verliebt zu sein?«
Sukie zuckte die Achseln. Diese Frage hatten Chelsea und sie bei so mancher Flasche Alkopop auch schon erörtert. »Tja, so ist wohl das Leben.«
Milla schob sich die Haare hinter die Ohren. »Habt ihr in der Schule auch mal den Sommernachtstraum aufgeführt? Mit Hermia und Lysander, Helena und Demetrius? Da liebt jeder jemanden, der wieder einen anderen liebt. Alle sind in die falschen Partner verliebt. So kommt mir mein eigenes Liebesleben auch vor. Ein Riesenkuddelmuddel und eine einzige Irrfahrt. Es müsste so was wie magische Pillen auf Rezept geben, die alles wieder ins Lot bringen … Ach, das ist mir alles zu viel. Ich glaube, ich geh noch mal für ein paar Stunden ins Bett.«
Im Wohnzimmer kehrte ehrfürchtiges Schweigen ein, als Milla sich durch die Wartenden schlängelte und auf der gewundenen Treppe nach oben entschwand.
Sukie stieß die Luft aus, eine Vielfalt an Möglichkeiten schwirrte ihr durch den Kopf.
Was wäre, wenn? Nur mal gesetzt den Fall?
Ob Cora in dem Bewusstsein, dass ihre Kräutertränke Liebeszauber bewirken konnten, wohl auch das Gefühl gehabt hatte, dass sie durch umsichtigen Gebrauch einiger Gartenpflanzen und Öle passende Paare zusammenführen und Menschen glücklich machen konnte, die es nicht verdient hatten, einsam und allein zu sein? Das konnte doch nichts Unrechtes sein?
Sukie seufzte. Sie war schwer versucht, mit Milla ein kleines Experiment in Sachen Liebestränke zu unternehmen. Ohne ihr Wissen natürlich. Die Abwesenheit des entlaufenen Bräutigams Bo-Bo stellte zwar ein gewisses Hindernis dar, und auch wenn es ihr wie durch ein Wunder gelänge, Milla und Bo-Bo wieder zusammenzubringen, wer sagte denn, dass der abservierte Derry sich daraufhin gleich in sie verlieben würde? Die Chancen dafür waren ja wohl ziemlich mau.
In der Dichtung war alles immer ganz anders. Shakespeare hatte seine unglücklich Liebenden und seine Liebestränke mit bemerkenswerter Zuversicht gehandhabt. War nicht Puck mit seinem Elfenzauber der Unruhestifter gewesen? Vielleicht hätte sie in der Schule bei dem ganzen Hin und Her im Sommernachtstraum besser aufpassen sollen. Chelsea und sie
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