Sommerprickeln
sie freundlich.
Die Tür des Besprechungszimmers ging auf, alle drehten sich um. Mit rotem Gesicht und wirrem Haar kam Pokey hereingerauscht.
Sie trug eine Schwangerschaftstunika aus Leinen mit großen roten, gelben und violetten Blumen, dazu eine gelbe Hose und mit Pailletten besetzte violette Flipflops.
Sallies Augen huschten bedeutungsschwanger über die Aufmachung ihrer Tochter hinweg. »Da bist du ja«, brachte sie heraus. »Wir wollten schon eine Suchanzeige aufgeben. Ist dir klar, dass du zehn Minuten zu spät kommst?«
»’tschuldigung, Mama«, sagte Pokey und ließ sich auf den freien Stuhl zwischen Annajane und Mason sinken. »Der Babysitter kam zu spät, dann konnte ich den Autoschlüssel nicht finden, weil Clayton ihn in seinem Töpfchen versteckt hatte, dann musste ich auch noch am Eisenbahnübergang warten, weil da ein echt kilometerlanger Zug …«
»Schon gut«, sagte Sallie und wedelte weitere Entschuldigungen beiseite. »Jetzt bist du ja da. Hast du der Empfangsdame gesagt, sie kann Norris mitteilen, dass wir jetzt alle anwesend sind?«
»Weiß sie schon«, sagte Pokey, griff nach einer der Wasserflaschen auf dem Tisch und trank einen großen Schluck. »Ich soll euch ausrichten, dass er noch telefoniert.«
»Soll doch einer von seinen Juniorpartnern telefonieren, dann kann er sich ums Geschäft kümmern«, schimpfte Davis und sah auf die Uhr. »Ich hab das ganze Warten langsam satt.«
»Entspann dich, Davis. Wir warten jetzt seit fünf Jahren«, sagte Pokey. »Da bringen uns fünf Minuten mehr auch nicht um.«
»Einige hier haben vielleicht alle Zeit der Welt«, gab Davis zurück. »Andere müssen sich um ihr Geschäft kümmern.«
»Davis!«, mahnte Sallie und legte ihm warnend die Hand auf den Arm. »Es reicht!«
Aber Pokey war unbeeindruckt. »Es ist noch nicht mal halb elf. Keine Sorge, Davis. Du kannst die Firma immer noch nach dem Mittagessen verkaufen, nach Figure Eight Island rüberflitzen und hast dann noch genug Zeit, dein Vermögen auszugeben.«
»Pauline«, sagte Sallie streng. »Ich möchte, dass diese Sticheleien sofort aufhören!«
»Schon gut«, sagte Pokey. »Wir wissen ja alle, auf wessen Seite du stehst, Mama.«
»Ich stehe auf gar keiner Seite«, entgegnete Sallie und bemühte sich, ihre hoheitsvolle Haltung zurückzugewinnen. Sie betrachtete ihre drei erwachsenen Kinder. »Wir sind alle aus demselben Grund hier, und ich wäre euch dankbar, wenn ihr euch das in Erinnerung rufen würdet. Euer Vater hätte dieses alberne Gezanke nicht toleriert.«
»So albern ist das gar nicht, Mama«, sagte Mason. »Davis will für dreißig Millionen an Jax Snax verkaufen. Das ist eine Menge ›Popcorn‹.«
Pokey kicherte, doch bevor Sallie sie erneut verwarnen konnte, kam Norris Thomas in den Raum, einen dicken Aktenordner unter den linken Arm geklemmt.
Annajane hatte Norris Thomas schon bei verschiedenen Anlässen getroffen und fand, dass er sich in den vergangenen zehn Jahren nicht groß verändert hatte, obwohl er Ende siebzig sein musste. Er hatte einen storchenartigen Körperbau, lange Beine und ein kleines Bäuchlein. Sein drahtiges weißes Haar bauschte sich über seiner hohen Stirn, und die Pilotenbrille mit dem silbernen Gestell, die er seit dreißig Jahren trug, war, ohne dass er es gemerkt hatte, wieder in Mode gekommen.
Davis und Mason erhoben sich und begrüßten ihn. Sallie blieb sitzen und reichte ihm kühl die Hand, so dass der Anwalt fast die Position eines Bittstellers einnahm.
Pokey stand auf und nahm den alten Mann in den Arm. »Onkel Norris«, sagte sie. »Wie geht es Miss Faye?«
»Gut, sie verwöhnt die Enkelkinder ohnegleichen und lässt euch alle grüßen«, antwortete Thomas. Er hieß auch Annajane warmherzig willkommen, dann begab er sich zu dem Stuhl in der Mitte des Tisches.
Er räusperte sich zweimal, trank etwas und räusperte sich ein drittes Mal.
»So, ihr Lieben«, begann er und schlug den Aktenordner auf. »Ich entschuldige mich für meine Verspätung.« Er spähte durch die Brille in die Akte und sah dann die einzelnen Familienmitglieder der Reihe nach an. »Ich freue mich, dass ihr heute alle gekommen seid. Ich hoffe, ihr seid bei guter Gesundheit?«
»Uns geht es gut, Norris«, sagte Davis ungeduldig. »Viel Arbeit, aber sonst ist alles gut.«
Sallie warf ihm einen Blick zu, aber Davis beachtete sie nicht. »Die Verfügung, Norris. Wir müssen genau wissen, was darin steht.«
Unbeirrt reichte Norris fünf Stapel gehefteter Unterlagen
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