Sommerprickeln
bereits im grünen OP-Anzug am Eingang zur Notaufnahme, als der Rettungswagen an der Rampe des Passcoe Memorial Hospital vorfuhr. Der Arzt war Ende fünfzig, hatte kurzes graues Haar und große, gefühlvolle braune Augen.
Nachdem Sophie auf eine Transportliege gelegt und ins Gebäude gebracht worden war, nickte Dr. Kaufman Mason und Annajane kurz zu, dann war er ganz Arzt, fühlte die glühende Stirn des Kindes und betastete vorsichtig den Bauch.
Bei seiner Berührung stöhnte Sophie auf. »Schon gut, Mäuschen«, sagte Mason und hielt ihr die Hand. »Dr. Max sorgt dafür, dass es dir bald bessergeht.« Er beugte sich vor, strich ihr das Haar aus dem Gesicht und küsste sie auf beide Wangen.
»Wir nehmen die kleine Dame mit, lassen sofort Blut abnehmen, eine CT anfertigen und machen es ihr bequem, aber anhand eurer Angaben vermute ich, dass es der Blinddarm ist, und wenn das stimmt, holen wir den kleinen Schweinehund sofort raus«, sagte Dr. Kaufman. Er nickte der Krankenschwester neben sich zu, die Sophie daraufhin wegschob.
»So, Miss Sophie«, hörten sie sie sagen. »Ich bin Molly. Und ich habe eine kleine Tochter zu Hause, die genauso alt ist wie du, und sie heißt sogar auch Sophie, genau wie du! Wie findest du das? Und du hast so ein hübsches Kleidchen an! Hast du heute Geburtstag?«
»Nein«, sagte Sophie. »Wir wollten heute die Hochzeit von meinem Daddy feiern, aber dann wurde mir schlecht.«
Dr. Kaufman schmunzelte, schaute von Mason zu Annajane und hob eine buschige Augenbraue beim Anblick des verschmutzten Smokings des Bräutigams und des ruinierten Kleids seiner Exfrau. »Alles in Ordnung so weit? Gut. Füllt die Formulare aus und holt euch unseren weltbekannten Blümchenkaffee. In ein paar Minuten kann ich euch bestimmt Näheres über die OP sagen.«
»Ist sie wirklich notwendig?«, fragte Mason besorgt.
»Bei akutem Blinddarm?«, fragte Dr. Kaufman zurück. »Also, Mason, niemand braucht einen Blinddarm, soweit wir wissen. Es kommt zwar nicht so häufig vor, dass Fünfjährige eine Blinddarmentzündung haben, aber eine Seltenheit ist es auch nicht. Und wenn der Blinddarm kurz vorm Durchbruch steht, müssen wir ihn dringend herausnehmen, sonst wird es ganz schnell sehr hässlich. Und ob das der Fall ist, muss ich jetzt herausfinden, in Ordnung?« Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er kehrt und verschwand hinter der Schwingtür zu den Untersuchungsräumen.
»Danke!«, rief Annajane ihm nach.
»Wichser«, murmelte Mason. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte er sich ebenfalls um und ging zur Patientenaufnahme, wo er begann, die Formulare auszufüllen.
Annajane blieb allein im Wartezimmer zurück, ein freudloser Raum mit beigem Linoleumboden, beige gestrichenen Wänden und einer Reihe graugrüner Kunstlederstühle vor einem an der Wand angebrachten Fernseher, in dem ein Film über die richtige Technik des Händewaschens lief. Die einzige weitere Unterhaltungsmöglichkeit waren eine Handvoll zerlesener Ausgaben von Zeitschriften in einem ebenfalls beigen Metallregal.
Annajane nahm eines der Hefte und überflog gelangweilt einen Beitrag über Prostatakrankheiten, als Mason zurückkam und sich zwei Plätze neben ihr auf einen Stuhl fallen ließ. Laut seufzend barg er den Kopf in den Händen.
Annajane sah auf die Uhr. »Wir sind noch keine fünfzehn Minuten da«, bemerkte sie.
Er antwortete nicht.
»Sophie ist ansonsten ja völlig gesund«, fügte Annajane hinzu. »Und Dr. Kaufman weiß genau, was er tut.«
»Das weiß ich«, brachte Mason hervor. »Es ist nur … dieses Krankenhaus.« Er hob den Kopf. In seiner Stimme lagen Anspannung und Verzweiflung. »Dieses Krankenhaus. Weißt du?«
»Ja, ich weiß«, sagte Annajane sanft. Sie zögerte, doch dann beugte sie sich vor und drückte seinen Oberarm. Masons Hand fand ihre und tätschelte sie kurz, bevor er wieder losließ. Sie beide kannten diesen Raum nur zu gut.
Vor etwas mehr als fünf Jahren war Annajane in diese Notaufnahme gestürmt und hatte Mason auf fast demselben Stuhl vorgefunden. Vornübergebeugt und niedergeschlagen hatte er auf Nachricht von eben diesem Arzt gewartet, Max Kaufman. Nur dass der Patient damals Masons Vater Glenn gewesen war und dass die Nachricht, als sie endlich kam, ihn völlig erschütterte.
Jener Tag war der Anfang vom Ende ihrer Ehe gewesen.
Schon vorher hatte es Streit gegeben. Annajane hätte es nur nicht so genannt. Zank oder Kabbeleien, falls man diese Wörter wirklich verwenden konnte.
Noch
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