Sommerprickeln
nichts. Dr. Kaufman ist bei ihm.«
»Das tut mir so leid«, sagte Annajane. »Mason, dass tut mir so unglaublich leid. Ich komme zurück. Jetzt sofort.«
»Schon gut«, sagte er. »Ich muss jetzt aufhören. Die Krankenschwester will mit uns sprechen.«
»Ruf mich an!«, sagte Annajane. »Sag mir Bescheid, wenn du was hörst. Ich bin unterwegs.«
Sie fand Mason allein im Wartezimmer des Krankenhauses. Vornübergebeugt hockte er auf einem unbequemen grünen Stuhl. Trotz der grellen Neonröhren unter der Decke war der beige Raum in Schatten getaucht. Mason schaute nicht auf, als Annajane sich setzte und ihn ansprach.
»Wo ist Sallie?«, fragte sie und sah sich suchend um. »Und Pokey?«
»Pokey musste nach Hause«, sagte er mit monotoner Stimme. »Sich um den Kleinen kümmern. Mutter ist bei Dad im Zimmer. Eigentlich sollte sie gehen, aber sie hat alles zusammengeschrien und gedroht, das Krankenhaus zu verklagen, da durfte sie schließlich bleiben.«
»Was ist mit Davis?«
Mason zuckte mit den Schultern. »Ist heute Morgen zum Skifahren nach Boone aufgebrochen. Da oben ist kaum Handyempfang.«
»Hat sich … irgendwas getan?«
»Nein«, antwortete Mason. Er setzte sich auf und starrte auf den Fernseher. »Es sieht nicht gut aus«, sagte er niedergeschlagen. »Dr. Kaufman meint, sein Gehirn war wohl schon ziemlich lang ohne Sauerstoff, als Mama ihn fand. Die Notärzte konnten sein Herz im Rettungswagen wieder zum Schlagen bringen, aber Dr. Kaufman hat gesagt, selbst wenn er durchkommt, wird er nicht mehr derselbe sein.«
Dann saßen sie eine weitere Stunde da, ohne miteinander zu reden. Irgendwann konnte Annajane das Schweigen nicht mehr ertragen. »Ich hole einen Kaffee.« Sie stand auf und reckte sich. »Willst du auch einen?«
»Nein, danke«, sagte Mason.
Sie ging zum Kaffeeautomaten in der Ecke und ließ sich Zeit mit Zucker und Milchpulver. Als sie sich gerade wieder setzen wollte, erschien Sallie Bayless in der Tür.
Sie trug einen eleganten schwarzen Kaschmirpullover und eine Stoffhose, doch ihr normalerweise perfekt frisiertes Haar war völlig zerzaust. Ihr Gesicht war blass, ihr Lippenstift abgewischt, die Augen rot gerändert.
»Mama?« Mason stand auf.
Sie nickte. »Es ist vorbei. Sie haben alles versucht, aber dein Daddy ist gegangen, mein Junge.« Sallie brach in Tränen aus und warf sich in die Arme ihres ältesten Sohns, während Annajane stumm und mit gebrochenem Herzen daneben stand.
Die Tage und Wochen nach der Beerdigung verschwammen ineinander.
Glenn Bayless’ plötzlicher Tod erschütterte seine Familie und die Firma bis ins Mark. Seine Witwe Sallie weinte unaufhörlich und schien nicht in der Lage, selbst die einfachsten Aufgaben des Alltags zu bewältigen. In den ersten Nächten nach Glenns Tod behauptete sie, zu viel Angst zu haben, um allein in dem weitläufigen alten Haus zu schlafen. Es war an Mason, ihrem ältesten Sohn, in sein ehemaliges Zimmer zu ziehen, um ihr Gesellschaft zu leisten.
Nach zwei Wochen verschrieb der Arzt Sallie Schlaftabletten, und Mason kehrte nach Hause zurück. Auf seine alte Ausziehcouch.
Er stürzte sich in die Arbeit, wollte das Vermächtnis seines Vaters regeln und kam erschöpft und bleich von endlosen Besprechungen mit den Anwälten nach Hause. Wenn Annajane nachfragte, erwiderte er kurz angebunden, alles sei gut.
Aber nichts war gut. Ohne sich seinem Sohn anzuvertrauen, hatte Glenn klammheimlich begonnen, teuren Grund für eine neue Abfüllanlage im Süden des Bundesstaates zu erstehen, weil er eine steigende Nachfrage erwartete. Doch der Besitzer des entscheidenden Grundstücks, die einzige Fläche mit direktem Eisenbahnanschluss, der für so eine Fabrik unerlässlich war, wollte plötzlich nicht mehr verkaufen. Nun besaß man Land, das zum höchsten Preis mit einem entsprechend hohen Zins gekauft worden war, aber keinen Zugang zur Bahnstrecke.
Gleichzeitig waren die Verkaufszahlen von Quixie besorgniserregend in den Keller gegangen. Vitamingetränke, Energy-Drinks und Eistee bedrohten ihr Marktsegment.
Außerdem schliefen Annajane und Mason nicht mehr miteinander, wie auch schon einige Zeit vor der verhängnisvollen Weihnachtsfeier nicht mehr. Sie wohnten im selben Haus, arbeiteten für dieselbe Firma und hatten benachbarte Büros, aber die Kluft zwischen ihnen schien jeden Tag größer zu werden. Als Leonard Hudgens stürzte, sich die Hüfte brach und einen Monat nach dem Tod von Glenn Bayless an einer Lungenentzündung starb,
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