Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
musste, um den Mechanismus auszulösen. Doch plötzlich ging alles sehr schnell. Dieses Mal bewegte sie sich viel zügiger durch die Lüfte als je zuvor, und bevor sie sich versah, prallte sie so stark gegen das Gestein, dass es zertrümmert wurde und die Kugel zu Boden fiel. Sie rollte mehrere hundert Meter in ein Tal hinein, wo sie unversehrt liegen blieb. Arrow wollte ihr hinterherlaufen, doch gerade in dem Moment, da sie beschloss, alles zu geben, um jenen, der sich darin versteckte, unschädlich zu machen, ertönte ein hölzernes Klappern. Erschrocken wandte sie sich um und erblickte Grint. Das Weidemännchen stand vor ihr und zitterte am ganzen Körper. Seine Augen waren so angsterfüllt, als würde er jeden Moment in einen Schockzustand verfallen. Seine spitzen Finger gruben sich in das Leder ihres Tagebuches, das er so fest umklammerte, als würde sein Leben davon abhängen.
Arrow schaute zur Kugel. Sie beobachtete, wie ein Mann benommen aus ihr herauskroch, zusammensackte und davor liegen blieb. Zweifellos war es Laris, der durch das Rollen des Leuchtkörpers seine Orientierung verloren hatte. Wäre Grint ihr nicht dazwischen gekommen, wäre dies der richtige Moment für den Angriff gewesen. Nun jedoch saß sie in einer Zwickmühle. Wenn sie gegen Laris unterlag, würde er sich als nächstes Grint vornehmen. Damit hätte sie nicht nur sein Todesurteil unterzeichnet, sondern auch die einzige Möglichkeit, ihrem Sohn dieses Buch zukommen zu lassen, für alle Zeit verloren.
Laris hob den Kopf. Er kam wieder zu sich, und während sie bereits eine Entscheidung getroffen hatte, wartete sie noch auf den Moment, da er sie sah. Er sollte die Entschlossenheit in ihren Augen sehen, sollte bereits jetzt schon wissen, in welches Gesicht er blicken würde bevor er diese Welt verließ. Doch in jener Sekunde, da ihre Blicke sich trafen, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, denn plötzlich überkam sie das Gefühl, dass es genau anders herum enden würde.
Eilig schnappte sie sich Grint, verwandelte sich in den Wirbelsturm und verschwand mit ihm. Und nachdem sie sich mitsamt dem Männchen in Gestalt des Windes durch einen kleinen Schlitz geflüchtet hatte und sich anschließend im Zwergenreich wiederfand, drang ein Lachen an ihr Ohr, wie es spöttischer und niederträchtiger nicht klingen konnte. In jenem Moment hatte sie das Gefühl, den Kampf verloren zu haben.
Eine alte Freundin
Als Arrow und Grint in Abaläss ankamen, erblickte sie Leute, soweit das Auge reichte. Die Zwerge hatten ihre Stadt aufgegeben, denn dadurch, dass sie direkt an Nebulae Hall anschloss, war es dort zu gefährlich geworden.
Keylam hatte sie sofort erblickt, als sie an der Treppe aufgetaucht war. Er lief ihr entgegen und nahm sie in den Arm.
„Ist alles in Ordnung?“
Arrow senkte den Blick. „Es war Laris, aber ich habe nichts gegen ihn ausgerichtet. Genau genommen bin ich feige davon gelaufen.“
Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Und aus diesem Grund bist du noch am Leben.“
„Was ist mit Kemar?“, fragte sie besorgt.
„Er hat es nicht geschafft. Die anderen haben versucht, ihn zu beruhigen und mit sich zu nehmen, doch er hat so wild um sich geschlagen, dass alle Mühe vergebens war. Zuletzt hatte es den Anschein, als wäre er dem Wahnsinn verfallen. Er lief brüllend gegen eine Wand und das war sein Ende.“
„Aber so etwas tut doch niemand freiwillig“, entgegnete sie erschrocken.
„Das denken wir auch. Laris muss es irgendwie geschafft haben, ihm seinen Willen aufzuzwingen. Anders kann ich es mir nicht erklären.“
„Was ist mit den übrigen Riesen?“
„Sie versuchen, die verschütteten Gänge frei zu räumen und zurück in ihre Heimat zu flüchten.“
„Haben es sonst alle geschafft?“
Keylam nickte. „Alle, die sich bis gerade eben noch in Nebulae Hall aufgehalten haben, sind hier.“
„So wie du das sagst, klingt es, als würde es noch ein ‚aber‘ geben.“
„Das gibt es“, entgegnete er gefasst. „Und es betrifft die Sache, die wir dir heute Nachmittag schon sagen wollten.“
„Was meint ihr mit ‚verschwunden‘?“, fragte Arrow ungläubig nach. „Wer ist verschwunden und wie?“
„Einige Leute“, entgegnete Neve betrübt. „Wir wissen nicht, wie sie es gemacht und ob sie sich mit ihren Geistern vereinigt haben. Aber wir glauben nicht, dass sie Opfer von Laris geworden sind.“
„Die anderen haben davon berichtet, dass sie sich schon seit längerem auffällig verhalten
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