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Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)

Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)

Titel: Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Stoye
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hinter jedem Stamm und am Boden abspielte und Wölfe mit ihrem Heulen ein leichtes Hungergefühl bekundeten.
    Auf der Lichtung angekommen, die sie am Vortag bereits aufgesucht hatte, stieg sie von dem Rappen und sah sich um. Wieder war weit und breit kein einziger Nyride zu sehen, doch Arrow spürte mit jeder Faser ihres Körpers ihre Anwesenheit und die Blicke aller auf sich. Nachdenklich betrachtete sie den Boden und fragte sich, ob die Apfelkerne vielleicht doch das Interesse der Geister geweckt hatten und was sich während der letzten Stunden hier abgespielt hatte. Sie ging in die Hocke und strich mit ihren Fingern durch den Matsch. Dann dämmerte ihr, dass vermutlich alle Mühe vergebens wäre, solange der Boden weiterhin derart wässrig blieb. Natürlich musste es unter den Nyriden Geister geben, die mit solchen Problemen fertig wurden, doch warum darauf warten, wenn sie es auch selbst bewältigen konnte? Zumindest hoffte sie darauf, es zu können, denn einen Nebel zu erzeugen war ihr bislang nur ein einziges Mal gelungen.
    Sie versuchte sich darauf zu besinnen, was damals geschehen war. Sie hatte unbekleidet in einem See gebadet und sich so nicht vor den anderen zeigen wollen. Fürs erste war das schon mal ein guter Anhaltspunkt, denn die vielen Beobachter, die hinter den Bäumen im Verborgenen verweilten, machten es ihr nicht gerade leicht, einen klaren Kopf zu bekommen.
    Mit gemischten Gefühlen schloss sie ihre Augen und konzentrierte sich darauf, möglichst gleichmäßig zu atmen. Gleichzeitig zwang sie alle überflüssigen Gedanken aus ihrem Kopf und besann sich darauf, ins Verborgene zu gleiten.
    Allmählich spürte sie, wie sich die Luft um sie herum veränderte. Zwar fühlte es sich noch immer nass und kalt an, doch die feinen Wassertröpfchen, die plötzlich das Gebiet durchzogen, ließen sich auf ihrer Haut und in ihren Haaren nieder und erzeugten ein Gefühl der Erfrischung. Plötzlich fühlte es sich gut an. Nach den vielen Wochen, die sie nun schon im Untergrund verbrachte, hatte sie völlig vergessen, wie schön es war, Wetter zu spüren. Sogar den so oft verfluchten Schnee vermisste sie schlagartig. Es war, als müsste sie nur die Augen öffnen, um sich auf einer satten, grünen Wiese wiederzufinden, über der dicke Nebelschwaden verträumt und zeitlos Rast einlegten, als würde der Himmel die Erde liebkosen. Doch als sie tatsächlich einen Blick riskierte, wurde sie nur allzu schnell wieder von der Realität eingeholt. Finster dreinblickende Gestalten schwebten vor ihr und musterten sie, als müsse sie für etwas Rede und Antwort stehen. Es waren die Nyridengeister. Endlich hatte Arrow es geschafft, ihr Interesse so stark auf sich zu ziehen, dass sie nicht länger widerstehen konnten und Kontakt aufnahmen. Doch was sollte sie jetzt tun? Über einen möglichen Erfolg hatte sie bisher gar nicht nachgedacht. Sollte sie mit ihnen reden oder sich einfach weiter mit der Umgebung beschäftigen und ihnen gestatten, ihr dabei zuzusehen?
    „Elon?“, fragte sie erstaunt, als sie vollkommen unerwartet ein vertrautes Gesicht erblickte.
    Der Geist betrachtete sie misstrauisch, dann schlich sich Unsicherheit in ihre Gesichtszüge, und sie machte Anstalten, sich wieder zurückzuziehen.
    „Warte!“, rief Arrow. „Du musst mich nicht fürchten. Ich kenne dich ... Oder vielmehr dein anderes Ich.“
    Elon hielt inne und Arrow erkannte, wie sie mit sich rang.
    „Wir, das heißt, die andere Elon und ich, verstehen uns gut und sind in der letzten Zeit sehr eng zusammen gewachsen.“
    Der Geist zögerte. Es schien, als würde Arrow ihr Vertrauen gewinnen. Wie gebannt sah sie die Nyridin an und vergaß alle anderen um sich herum. Doch sie durfte jetzt keineswegs einfach nur eine Reaktion abwarten. Noch war nichts gewonnen, und verloren war es ebenso wenig. Wenn sie weiterhin mit ihr redete, konnte dies der erste große Schritt sein, der den Stein ins Rollen brächte.
    „Sie spricht oft von dir und denkt viel darüber nach, welche Gemeinsamkeiten ihr haben könntet. Manchmal glaube ich sogar, dass sie über nichts anderes nachdenkt. Vor kurzem erst ...“
    Dann wurde sie unterbrochen. Einer der Geister hatte sein Misstrauen ihr gegenüber offenbar nicht überwinden können. Er sah sie an und stieß einen Schrei aus, der sich wie das Donnern eines Gewitters anhörte. Dann wandte er sich von ihr ab und verschwand mit den anderen zusammen im Nebel.

    Liebe Anne,
    seltsame Dinge gehen in letzter Zeit vor sich.

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