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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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über meine Finger,
als ich das Glas anhebe und wir uns zuprosten.
    MEIN VATER IST VOR einer
Woche aus der Klinik zurückgekommen, er hat noch keinen neuen Job und soll sich
auch noch keinen suchen. Er hat noch Schonfrist, wie meine Mutter es nennt. Er
hat die Hortensie vor die Terrasse gepflanzt und auch jetzt arbeitet er noch
viel im Garten, in kurzen Hosen und mit Rechen und Schaufel in der Hand schafft
er eine neue Ordnung für die Beete, er sortiert die Gartengeräte im Schuppen
und bei Anbruch der Dunkelheit stellt er den Rasensprenger an.
    Tennis spielen geht mein Vater nicht mehr. Es sei ihm zu heiß in den
Hallen, sagt er. Das Schwimmen bleibt. Vor dem Abendessen steigt er auf sein
Fahrrad und fährt zum Freibad. Er meidet es, tagsüber schwimmen zu gehen, weil
die Städter das Freibad für sich einnehmen, sie laut kreischend die Wespen von
sich fortwedeln und das Freibad mit ihren bunten Handtüchern und Körben voll
Proviant bevölkern. Er erzählt, dass ihn abends nur die Vögel aus den
Baumkronen beobachten und allein seine Kopfsprünge die Wasseroberfläche
sprengen.
    Mein Vater hat bald Geburtstag. Ich kaufe ein Buch mit blauem
Umschlag und leeren Seiten als Geschenk, es soll eine Art Poesiealbum werden,
mit nur einem langen Eintrag von mir. Ich zeichne und klebe und schreibe eine
Woche, dann lege ich das Buch zur Seite, mir fällt nichts mehr ein und ich
suche nach einem anderen Geschenk.
    Ich gehe auf den Mittwochsmarkt in der Stadt, ich kaufe
Holunderbeeren, kaufe Rhabarber, Himbeeren und Zucker. Zuhause koche ich die
Früchte mit dem Zucker ein, meine Mutter hilft mir dabei. Während der Sud auf
dem Herd immer dicker und zu einer klebrigen Masse wird, schneide ich
viereckige Stücke aus kariertem Stoff zurecht und messe die Länge der Bänder
ab, mit denen ich den Stoff um die Deckel schnüren will. Auf selbstklebendes Papier
schreibe ich die Marmeladensorte, schreibe »Für Papa« und »Herzlichen
Glückwunsch«. Auch für Lena mache ich ein Glas.
    Ich verstecke die noch warmen Gläser in meinem Zimmer, räume sie in
einem Schuhkarton in den Schrank. Jeden Morgen, wenn ich mich anziehe, schaue
ich nach, ob sie alle noch so dastehen wie am Tag zuvor, und stelle mir den
süßen Geschmack auf der Zunge vor.
    MAN KÖNNTE UNSERE HÄUSER abzeichnen und als Bilderrätsel in einer Zeitschrift veröffentlichen: Finden
Sie den Unterschied. Jan und ich sind Nachbarn. Unsere Häuser sind weiß, haben
das gleiche rote Dach und vor beiden steht ein Apfelbaum. Nur seine
Fensterläden sind nicht seegrün, sie sind altrosa.
    An den Wänden in Jans Wohnzimmer hängen in Holzrahmen Bilder von
Schiffen mit großen Segeln. »Das sind die Schiffe meiner Großväter und
Urgroßväter«, sagt Jan. Ich weiß nicht, was ich ihm glauben kann.
    Ein kleiner Tisch ist in der Mitte des Raumes zwischen Sessel und
Couch eingekeilt, in den zwei Gläsern ein Rest angetrockneter Rotwein. Jan
schaltet die Stereoanlage ein und dreht die Musik laut, dreht sie lauter, bis
die Bässe den Boden vibrieren lassen. Mit der Hand am Lautstärkeregler schaut
er mich an, wartet, dreht wieder leiser. Seine Jeans sitzt tief auf den Hüften,
er stemmt die Arme in die Taille und sagt, dies sei das Haus seiner Großeltern,
es sei also praktisch sein Haus, er steige nicht in fremde Häuser ein. Und ich
frage mich, ob das echt ist. Jan geht in den Flur, ich folge ihm.
    Im Flur ist es dunkel und die Luft ist stickig, dass ich fast husten
muss. An den Wänden hängen Tiere an Holzplatten, ein ausgestopfter Fisch neben
einem ausgestopften Singvogel neben einem ausgestopften Fuchs. Ich strecke mich
und streichle über das Fell, ein wenig borstig sticht es in meine Haut. Staub
bleibt an meiner Hand zurück, ich wische ihn an meiner Hose ab. Jan sieht mich
skeptisch an, als überlege er, warum ich überhaupt hier sei. Ob er das Mädchen
aus dem Haus gegenüber kenne, frage ich, und Jan bleibt kurz stehen und sagt:
»Ja, natürlich.« Das Mädchen aus der Bar, dessen Haus abends immer voll mit
Menschen sei, die Studentin aus Marseille, irgendwas mit Kultur mache sie. Auf
jeden Fall veranstalte sie hier seit drei Jahren jeden Sommer Partys, als habe
sie etwas nachzuholen, so formuliert er es, und ich denke, wenn jemand etwas so
formuliert, muss er definitiv über dreißig sein. Dann geht Jan weiter, als
erwarte er

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