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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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hinter ihnen die Treppe hoch.
    Im Schlafzimmer stehen große Säcke gefüllt mit Handtüchern und
Vaters Kleidern, die sollen zur Altkleidersammlung oder nach Afrika, wie meine
Mutter sagt, wenigstens noch karitative Zwecke erfüllen. Dann öffnet sie die
rechte Schranktür. Sie zieht zwei Kleiderbügel mit Anzügen heraus und hält sie
Lenas Vater vor die Brust. »Die passen doch«, sagt sie, »nimm sie bitte mit.
Oder, Juno, ist doch besser, wenn die Sachen deines Vaters noch getragen
werden«, sie sagt es, ohne eine Frage daraus zu machen. Lenas Vater hält den
Bügel fest. Er überlegt, was er antworten soll. Meine Mutter räumt weiter den
Schrank aus. Vaters gute Hemden, die er zum Arbeiten trug, die Schuhkartons,
die unten im Schrank stehen und in denen guten Schuhe aufbewahrt sind, meine
Mutter polierte sie immer, bevor er sie zurück in den Karton legte. Sie stellt
die Kartons aufeinander. »Ich hole dir eine Tüte«, sagt sie und geht an mir
vorbei aus dem Zimmer.
    Lenas Vater setzt sich aufs Bett. »Ich dachte, ich solle euch etwas
helfen«, sagt er zu mir. »Nimmst du die Sachen jetzt mit?«, frage ich. Ich will
nicht, dass Vaters Kleidung weiter getragen werden soll, von einem anderen
Mann, an anderen Orten, dass andere Leute am Stoff riechen, Leute, die ich
nicht kenne.
    Mutter kommt mit einem Lederkoffer und stopft die Kleider mit beiden
Händen hinein, als habe sie Angst, dass sie jemand daran hindere, sie
einzupacken und wegzugeben, wenn sie sie nicht schnell genug verstaut.
    Die Gürtel wirft meine Mutter weg. Sie wirft nicht nur die
Ledergürtel meines Vaters in die große Tonne neben unserem Tor, sondern auch
ihre dünnen, feinen und meine Gürtel, die glitzernden und die neonfarbenen, die
mit den Blümchen und die ganz einfachen, sie alle landen neben den Essensresten
im Müll.
    Die Tür zum Arbeitszimmer ist abgeschlossen. Als ich meine
Mutter frage, wo der Schlüssel ist, sagt sie, sie wisse es nicht, sie habe ihn
gerade verlegt.
    Langsam sehe ich, was im Haus alles fehlt. Das Bücherregal ist halb
leer, nur eine dünne Staubschicht auf der hinteren Hälfte der Regalbretter zeugt
davon, dass dort mal etwas stand. In der Küche fehlt die Sammlung von Vaters
kleinen Kaffeemühlen. Im Schrank fehlen die Tassen, aus denen er seinen Tee
trank. Im Flur fehlt die Sporttasche für die Tennishalle, im Schuhregal stehen
nur noch Mutters Schuhe neben meinen.
    Ich rüttle noch einmal an der Klinke und versuche, durch das
Schlüsselloch etwas im Arbeitszimmer zu erkennen, aber ich sehe nur den alten
Schreibtisch und den Stuhl. Nach rechts und links kann ich nicht sehen.
    PLÖTZLICH IST ALLES EIN RAUSCHEN .
Julie tritt auf die Bremse, unsere Oberkörper werden ein Stück nach vorne
geschleudert, die Sicherheitsgurte schneiden sich in unsere Schultern.
Plötzlich läuft das Radio, eine aufgekratzte Wetterstimme kündigt Nebel an
    Â»Spinnst du«, sagt Jan, Julie antwortet nicht. Jan springt raus und
läuft um das Auto. Warndreieck, denke ich, Warnblinker. Wir sind mitten auf
einer Landstraße, ich überlege, ob es nicht sicherer ist, im Transporter zu
bleiben, aber dann steige ich auch aus. Wir sind von der Fahrbahn abgekommen
und Julie hat den Transporter gegen die Leitplanke gefahren, die jetzt stark
ausgebeult ist. Ich will den Notruf auslösen oder den Verkehrsdienst anrufen,
ich schalte mein Handy ein. Ich frage Julie nach der Nummer eines
Abschleppdienstes oder der Polizei, sie antwortet nicht. Ich frage Jan nach der
Nummer. Er sagt nichts, fasst sich an den Kopf und reibt sich die Schläfe. Wir
hören, wie Julie versucht, den Motor zu starten, doch das Auto röchelt nur.
Immer wieder versucht sie es und langsam werde ich wütend. Ich spüre, wie ich
mich beherrschen muss. Kurz überlege ich, mich als Anhalterin mitnehmen zu
lassen, einfach in das nächstbeste Auto einzusteigen und wegzufahren. Mein
Ellenbogen brennt, ich habe Durst. Jan hat sich hinter die Leitplanke gestellt
und hält sich immer noch den Kopf. Er läuft hin und her, als überlege er, was
zu tun ist. Ich lehne mich noch einmal ins Auto und sage zu Julie, sie solle
jetzt endlich aufhören damit, zu versuchen, den Motor zu starten. Julie schaut
mich an, als habe sie in diesem Moment alles Deutsch verlernt. Ich hole das
Warndreieck unter dem Beifahrersitz hervor, gehe einige Meter die Straße zurück
und

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