Sommertochter
wolle sie eine Hand zum Festhalten,
beruhigende Worte, Aufmerksamkeit. Ich sage, dass ich keine Lust habe, mit der
Frau zu diskutieren, dass ich keine Versicherungskarte dabei habe und dass ich
mich sowieso gut fühle.
DIE GROSSE HITZE KOMMT in
Schüben, in unserem Garten verbrennt das Gras. Ich gehe barfuÃ, das Gras
kitzelt an meinen FüÃen. Im Schuppen schultere ich Spaten und Rechen, dann hole
ich von der Terrasse die Setzlinge, die Mutter gekauft hat. Bevor die
Geburtstagsüberraschung für meinen Vater anfängt, soll im Garten alles schön sein,
also arbeite ich an den Beeten, die noch nicht fertig sind. Durch das Fenster
sehe ich meinen Vater im Arbeitszimmer im ersten Stock sitzen, das Fenster ist
geöffnet, ich stelle mir vor, dass er Musik hört und in eine andere Welt
vertieft ist.
Als ich ins Haus zurückkomme, die Knie gerötet und dreckig von der
Erde, ist es still. Nur aus der Küche höre ich das Geklapper von Geschirr,
meine Mutter steht am Spülbecken und wäscht die Töpfe. Die Ãrmel ihres Kleides
sind bis über die Schultern hochgezogen, ihr Gesicht ist erhitzt, ein paar
Haare stehen wie elektrisch aufgeladen vom Kopf ab. Immer wenn das Licht auf
den silbernen Topfreiniger trifft, blitzt es durch den Raum. Ob sie heute gar nicht
arbeiten gehe, frage ich meine Mutter und beginne, den Pflanzen auf der
Fensterbank die verdorrten Blätter abzureiÃen, befühle die ausgetrocknete Erde
im Topf und halte meiner Mutter die GieÃkanne hin. Sie dreht den Wasserhahn
auf. »Das geht nicht, das weiÃt du doch, es gibt noch so viel für heute Abend
zu tun«, antwortet sie. An ihren Händen kleben Schaumberge, ich puste sie weg,
wie Watte segeln sie durch die Luft und setzen sich auf die Wandfliesen. Ich
gieÃe die Blumen auf der Fensterbank, gehe wieder hinaus in die Sonne, zu
meinem Beet, als ich durch die Fenster ins Arbeitszimmer blicke, ist es leer.
Später am Tag steht meine Mutter inmitten von kleinen, runden
Lampions im Wohnzimmer am Tisch, ihre Hände wandern von einem Stapel Kerzen zu
den weiÃen Papierformen. Sorgfältig steckt sie die Kerzen in die Halterungen
der Lampions. In meiner Phantasie gehen die Lampions in Flammen auf, einer nach
dem anderen. »Juno, komm her«, ruft sie. Sie schlingt den Arm um meine
Schulter. »Heute soll gefeiert werden.«
Bevor die Dämmerung einsetzt, hängen wir die Lampions an den
Kirschbaum, den Rest verteile ich in der Hecke. Wenn ich die Augen schnell
öffne und wieder schlieÃe, ist es, als sehe ich Glühwürmchen vor mir.
Ich frage mich, ob wir auf der Einladung die falsche
Uhrzeit angegeben haben, es ist noch zu früh und zwei Männer betreten den
Garten, ich kneife die Augen zusammen. Ich erkenne sie nicht. »Wir haben gerade
schon an der Haustür geklingelt, aber es hat niemand aufgemacht«, rufen sie mir
zu. Ich komme näher und sehe ihre grünen Uniformen. Als ich die Treppe zur
Terrasse hinauflaufe, rutsche ich fast aus. »Sind deine Eltern zu Hause? Euer
Auto wurde gefunden«, rufen sie mir hinterher. Die Terrassentür fliegt auf und
knallt gegen die Hauswand. Meine Mutter kommt in den Garten.
Das Auto steht festgezurrt auf der Ladefläche eines Lkws. Wir
spiegeln uns im Lack unseres Kombis. Ich gehe um den Lkw herum, die StoÃstange
des Autos ist in der Mitte eingebeult, als sei meine Mutter irgendwo
gegengefahren. Ãberall auf dem Auto verteilt Vogeldreck und grüne, zermatschte
Insekten. Ich klettere auf die Ladefläche und öffne die Autotür. Der Schlüssel
steckt.
»Sie stören, merken Sie das nicht? Heute Abend feiern wir den
Geburtstag meines Mannes«, sagt meine Mutter zu den Polizisten und weist mit
der rechten Hand auf die Lampions, die wir im Garten aufgehängt haben. Die
Polizisten nicken und geben sich Zeichen. »Kommen Sie nächste Woche zu uns aufs
Präsidium«, sagen sie, »die Einladung folgt per Post«. Dann laden sie das Auto
hinter dem Tor ab.
Jetzt steht das Auto auf dem Schotterweg vor unserem Haus, als würde
es schon ewig dort stehen. Der Regen muss es sauber waschen, Fingerhut und
Sonnenblumen sollen ihm durch die Sitze, durch das Dach, durch die Fenster
wachsen.
Zum ersten Mal schminke ich mich heute mit dem roten
Lippenstift meiner Mutter. Zur Feier des Tages trage ich ein schmales,
karamellfarbenes Kleid, meine Mutter hat es mir gekauft, es passe so gut zu
meinen Haaren,
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