Sommertochter
hat sie gesagt. Ich sehe erwachsen aus. Im Schlafzimmer meiner
Eltern versuche ich, mich mit meiner neuen Kamera im Spiegel zu fotografieren,
ohne Blitz. Das Bild verwackelt. Ich gehe die Treppen hinunter, durch das
Wohnzimmer auf die Terrasse. Ich stelle die Kamera auf den Stuhl, stehe aufrecht
vor der Hortensie, die Arme eng am Körper, der Selbstauslöser blitzt.
Meine Mutter sagt, dass der Baum einfach im Weg war, in
der Hand hat sie Vaters frisch gebügeltes Hemd, das sie auf die kleine Kommode
im Flur legt. Sie habe nur zum Weiher am anderen Ende der Stadt fahren wollen.
»Und dann ist das Auto nicht mehr angesprungen und ich habe es einfach stehen
lassen«, sagt sie und stellt eine Flasche alkoholfreies Bier neben das Hemd auf
die Kommode.
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Meine Mutter hat Freunde eingeladen, sie alle kommen und
strömen in unseren Garten. Sie stehen in Grüppchen unter den Lampions, bedienen
sich an den Häppchen, die meine Mutter auf silberne Platten gestapelt hat,
essen die Sahnetorte, die sie mit Aprikosenhälften belegt hat, trinken die
Rhabarberschorle und den Prosecco mit selbst gemachtem Holunderblütensirup.
Meine Mutter hat die Boxen der Stereoanlage aus den Fenstern zur Terrasse
rausgestellt, leise läuft Musik.
Wir warten auf meinen Vater, wir alle warten auf ihn. Meine Mutter
zieht sich die Strickjacke enger um die Schultern. Mit schnellem, festem
Schritt geht sie die Stufen zur Terrasse hinauf und verschwindet im Haus, kommt
nach ein paar Minuten wieder zurück.
Die Freunde meiner Eltern sind hochgewachsen, schlank und ordentlich
frisiert, Lachwellen bewegen sich durch den Garten. Ich gieÃe Rhabarberschorle
in ein Glas, es sprudelt bis an meine Wange.
Mein Vater sitzt in meinem Zimmer auf dem
Schreibtischstuhl, er dreht sich nach links und nach rechts. Als er mich im
Türrahmen sieht, steht er auf. Ich halte ihm die Rhabarberschorle hin, »probier
mal«, sage ich. Er nimmt mir das Glas aus der Hand und stellt es auf meinem
Schreibtisch ab. Er greift meinen Kopf, küsst mich auf die Stirn. »Gute Nacht,
Juno«, sagt er, »schlaf gut.« Er geht ins Schlafzimmer und ich kann hören, wie
er mit einem Ruck erst die Fenster und dann die Zimmertür schlieÃt.
ICH STILLE MEINEN HUNGER in
einer Bäckerei mit Milchkaffee und zwei Croissants, nehme noch eine Brioche
mit, eingeschlagen in dünnes Papier. Statt auf direktem Wege zum Haus zu gehen,
schlendere ich am Meer entlang. Ich kann noch nicht zurück zum Haus und noch
nicht zurück in den Garten, zu Julie, zu Jan.
Am Strand bauen Männer in Latzhosen die Stände und Tische für das
Sommerfest auf. Sie stellen die Maschine an, in der sie Nüsse karamellisieren,
und lassen ein paar Portionen zur Probe durchlaufen. Sie schenken mir eine
Handvoll gebrannter Mandeln, die ein wenig salzig und nach der Meeresluft
schmecken, die uns umgibt. Sie testen die bunten Lichterketten, die die kleinen
Verkaufsbuden schmücken und die merkwürdig schnell blinken, sie testen die
Lautsprecherdurchsage. »Lassen Sie es sich schmecken, Madame«, rufen sie mir
nach. Ich ziehe die Schuhe aus und gehe zum Wasser, freue mich über die Flut.
Ich spüre den Stapel Fotos und die Kamera im Jutebeutel, der mir an den Rücken
schlägt. Ich ziehe mein Kleid über den Kopf, werfe es mit dem Jutebeutel und
den Sandalen in den Sand, etwas weiter oben am Strand, damit die Flut meine
Sachen nicht zufällig mit ins Meer reiÃt. Ich laufe ins Meer, die Wellen erst
an meinen Waden, dann an meinen Schenkeln. Ich werfe mich hinein und kraule,
bis ich kaum mehr Kraft habe und zurückmuss.
DAS FENSTER IST OFFEN ,
manchmal bläst ein Windstoà meine weiÃen Vorhänge so auf, dass sie wie Wolken
aussehen. Ich höre Mutters Lachen aus dem Garten, nicht wie sonst weich und mit
tiefer Stimme, sondern schrill. Die Schatten der Geburtstagsgäste wandern durch
mein Zimmer.
AM APFELBAUM HÃNGT EINE Schaukel. Jan schubst Julie an, Julie im malvenfarbenen Kleid fliegt jedes Mal
noch ein Stückchen höher. »Die haben wir im Keller gefunden«, ruft Julie mir zu
und lacht.
Als ich vor der Schaukel stehen bleibe, hört Jan auf, Julie
anzustoÃen. Wir stehen uns gegenüber und schauen uns ein paar Sekunden lang einfach
nur an, ohne etwas zu sagen. Ich hole die Fotos aus der Tasche. Dass ich Jans
Fotos aus der Kamera habe entwickeln lassen, sage ich und muss mich nicht
anstrengen, kühl zu wirken,
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