Sommerzeit
Buchführung oder Geschäfte?«
»Nein.«
Karin legte eine Pause ein und schaute auf den Schreibblock auf ihren Knien.
»Spürten Sie im Alltag, dass die Firma gut lief?«
»Ja, wir konnten ja in Urlaub fahren. Wir waren immer schon auf dem Zeltplatz, Auslandsreisen konnten wir uns nie leisten. Aber diesmal wollten wir nach den Wochen auf Fårö noch nach Mallorca. Er hatte für uns ein Vier-Sterne-Hotel gebucht. Ich fand das zu teuer, aber er bestand darauf und sagte, wir könnten uns das leisten. Er fand, wir hätten das verdient, nach all der Plackerei, seit er die Firma aufgemacht hatte. Die Jahre, als die Kinder klein waren, waren hart für mich, er hat damals fast die ganze Zeit geschuftet.«
Vendela schluchzte auf, zog ein Taschentuch aus einer Schachtel neben dem Bett und putzte sich laut hörbar die Nase.
»Wieso sind Sie gerade auf den Campingplatz hier in Sudersand gegangen?«
»Das machen wir seit Jahren so, in jedem Urlaub. Peter liebte diesen Campingplatz. Er kannte den Besitzer, und der reservierte jedes Jahr denselben Platz für uns.«
»Hatten Sie auch sonst Kontakt zu dem Besitzer?«
»Nein, fast keinen. Mats, so heißt er, arbeitet den ganzen Sommer auf dem Campingplatz, und sowie sie für den Winter dichtmachen, fährt er mit seiner Frau in irgendeinen Ort am Schwarzen Meer. Sie kommt daher.«
Der Kugelschreiber schrappte über den Block. Karin dachte eine Weile darüber nach, was Vendela Bovide soeben gesagt hatte. Sie antwortete überraschend klar auf alle Fragen, wenn man bedachte, in welchem Zustand sie nur wenige Minuten zuvor gewesen war.
»Als Peter gestern Morgen den Wohnwagen verlassen hat – haben Sie ihn da zum letzten Mal gesehen?«
»Ja.«
»Was haben Sie gemacht, nachdem er gegangen war?«
»Ich konnte nicht wieder einschlafen, und deshalb bin ich aufgestanden und habe Kaffee gekocht. Ich bin im Wohnwagen geblieben, weil es die ganze Nacht geregnet hatte. Habe Kaffee getrunken und Kreuzworträtsel gelöst.«
»Und dann?«
»Nach ungefähr zwei Stunden sind die Kinder aufgewacht.«
»Wie spät war es da?«
»Vielleicht acht.«
»Haben Sie sich gewundert, weil Ihr Mann nicht zurückkam?«
»Ja, aber ab und zu ist er noch am Strand geblieben und hat Krafttraining gemacht und gebadet. Ich fand es
also nicht so ungewöhnlich. Die Sonne kam dann ja auch ziemlich bald raus.«
»Wann haben Sie denn angefangen, sich zu fragen, wo er bleibt?«
»Ich habe mit den Kindern gefrühstückt, die haben sich im Fernsehen ein Kinderprogramm angesehen. Als ich den Tisch abgeräumt und die Betten gemacht hatte, war es schon halb zehn. Und da habe ich mich gewundert, wo er wohl steckt.«
»Haben Sie sich Sorgen gemacht?«
»Nicht sofort. Aber gegen zehn bin ich mit den Kindern zum Strand gegangen, und da hatte sich eine ganze Menschenmenge versammelt. Und dann kam die Polizei.«
Ihre Beherrschung zerfiel in Sekundenschnelle, und Vendela Bovide brach in heftiges Schluchzen aus.
Karin legte ihr die Hand auf den Arm. Vendela riss ihren Arm zurück, als ob sie sich verbrannt hätte.
»Fassen Sie mich nicht an«, fauchte sie so heftig, dass der Speichel nur so spritzte. »Nur er darf mich anfassen, ist das klar?«
Karin zuckte zusammen. Auf diesen Ausbruch war sie absolut nicht vorbereitet gewesen. Sie schob ihren Stuhl so weit zurück, wie das überhaupt nur möglich war, und schwieg eine Weile. Es gab noch weitere Fragen, auf die sie gern eine Antwort gehabt hätte. Sie hoffte insgeheim, dass Vendela Bovide nicht vollständig die Beherrschung verloren hatte.
Das Weinen ließ langsam so weit nach, dass Karin endlich wagte, den Mund wieder aufzumachen.
»Wissen Sie, ob Ihr Mann irgendwelche Feinde hatte? Ich meine, ob er bedroht wurde oder ob ihn jemand hasste?«
Ein Schatten huschte über das Gesicht der anderen.
»Nein, ich weiß es nicht.«
»Das wissen Sie nicht?«
»Ich glaube es nicht. Peter war ein sehr großzügiger Mensch, den alle gern mochten, er war freundlich und hilfsbereit und geriet nur sehr selten mit anderen aneinander. Er verabscheute Konflikte. Das prägte auch seine Beziehung zu mir. Wir haben uns fast nie gestritten.«
Vendela Bovides Stimme wurde immer schwächer, und Karin spürte, dass es Zeit wurde, die Vernehmung zu beenden. Der dünne Körper sank immer tiefer in das Bett.
»Wie fühlte Peter sich eigentlich? War er glücklich?«
Die Antwort kam nicht sofort. Vendela schien wirklich über diese Frage nachzudenken. Als sei die neu für sie,
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