Somnambul Eliza (German Edition)
Sonntagabend, Wilbert. Sie
wissen ebenso gut wie ich, dass das nicht wahr ist“, sagte sie ruhig.
Wilbert schlug die Augen nieder, doch
Eliza fuhr fort: „Ist das Geheimnis, das ihr beide hütet, wirklich so schrecklich?“
Sie schaute dem alten Herrn forschend in
die Augen.
„Nein, das ist es nicht, Miss Hoffmann“,
sagte er mit aufrichtiger, fester Stimme mit seinem vornehmen englischen Akzent
und diesmal konnte er ihren Blick erwidern und in seinen von Ringen gerahmten
freundlichen, klaren Augen lag nicht der geringste Zweifel. Eliza wartete
darauf, dass Wilbert noch mehr sagen würde, doch das geschah nicht. Stattdessen
deutete er eine Verbeugung an und verließ den Raum. Eliza setzte sich wieder an
den Schreibtisch, aber sie konnte sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Sie
starrte auf das Bild, das einen hageren, hohläugigen Egon Schiele in dunkler
Mönchskutte und mit tiefsten Sorgenfalten auf der Stirn zeigte, der in
angedeuteter Embryonalstellung und verzweifelter Gestik eine junge, rothaarige
Frau im Arm hielt, die ihre überlangen, dürren Arme um ihn geschlungen hatte.
Sie lag so blass in seinen Armen, dass die rötlichen Knie und Knöchel wie wundgestoßen
und ihre roten Wangen ganz fiebrig wirkten. Wie die Figuren wirklich im Raum
positioniert waren, ließ sich nicht festlegen, da es keinerlei Orientierung
gab. Unter ihnen das weiße Betttuch – oder war es ein Leichentuch – und
dahinter eine undefinierte, amorphe, organisch anmutende Fläche, wie aus
Menschenleibern geformt. Aber hatte Eliza wirklich richtig gelegen, als sie
meinte, das Mädchen würde mit dem Tod in das Nichts triften? War es nicht
tatsächlich vielmehr so, dass sie bereits in diesem eigenartigen Schwebezustand
begriffen war und er krampfhaft bemüht war, sie am Boden zu halten, sie nicht
loszulassen?
Als etwas Weiches um Elizas Beine
strich, wurde sie aus ihren trüben Gedanken gerissen. Beide Katzen hatten den
Weg zu ihr gefunden und während Felis leichtfüßig auf die Lehne ihres Stuhles
und von dort auf den Schreibtisch sprang, ließ sich Cosmin auf dem Parkett zu ihren Füßen nieder und schnurrte seine Einladung, ihn zu
streicheln. Felis hatte es sich, wie sie es auch zu Hause so oft und gern tat,
mitten auf dem aufgeschlagenen Bildband bequem gemacht und damit eindrucksvoll
demonstriert, dass es an der Zeit war, sich mit etwas Wichtigerem als der Kunst
zu beschäftigen – nämlich mit ihr. Sie hatte die Pose einer ägyptischen Sphinx
eingenommen und als Eliza sie hinter den Ohren kraulte, verengte sie ihre
Katzenaugen zu schmalen Schlitzen und das nach vorn gereckte Gesicht war ein
Sinnbild des Wohlbefindens. Dann wandte sich Eliza Cosmin zu und kraulte das seidige, rote Fell des Katers, der augenblicklich zu
schnurren begann, wie eine Nähmaschine. Er lümmelte sich nach Katzenart auf dem
Boden herum und präsentierte Eliza seinen weichen Bauch, was bei Katzen einen
großen Vertrauensbeweis darstellte. Sanft streichelte Eliza das besonders samtige
Fell, doch der muskulöse Bauch des Katers war nicht so warm, wie sie es von
Katzen gewohnt war, sondern vielmehr kalt, als hätte er zuvor auf eiskalten
Fliesen gelegen. Felis beobachtete die Szene erstaunlich wohlwollend aus ihrer
erhabenen Perspektive und die Gesellschaft der Katzen tat Eliza gut und ließ
den Ärger und die Enttäuschung allmählich abklingen.
Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis
im Hof ein Wagen hielt und eine Autotür zugeschlagen wurde. Eliza hockte noch
immer neben Cosmin auf dem Fußboden und war
unschlüssig, wie sie Valeriu begegnen sollte und ob sie ihm nicht besser aus
dem Weg und an diesem Abend früh schlafen gehen würde.
Aber sie hatte diesen Gedanken noch
nicht zu Ende gedacht, als er bereits auf der Türschwelle erschien. Wie hatte
er den Weg von draußen bis hinauf in den dritten Stock so schnell zurücklegen
können und warum hatte sie seine Schritte nicht auf der Treppe gehört? Völlig
überrascht schaute sie zu ihm auf. Er sah an diesem Abend atemberaubend aus.
Seine aschblonde Mähne schien noch kräftiger, seine exotischen Augen noch
strahlender und seine Züge noch jugendlicher zu sein als sonst und sogar seine
Wangen und Lippen wirkten ein wenig rosig. All das stand im Kontrast zu dem
zerknirschten Gesichtsausdruck und der tiefen Traurigkeit, die in seinen Augen
lag. Er schaute Eliza eindringlich an: „Du hast meinetwegen geweint.“
Er klang ernsthaft erschüttert, doch er
hatte keine Frage gestellt, sondern eine
Weitere Kostenlose Bücher