Somnambul Eliza (German Edition)
unter den hier gezeigten Werken der
Jahrhundertwende die einen oder anderen Anknüpfungspunkte zu ihren Favoriten
finden.“
Wie immer bei solchen Privatführungen
wollte Eliza als nächstes wissen, ob es bestimmte Künstler, Werke oder Räume
gab, die René besonders interessierten.
„Wenn Sie nichts dagegen haben, wäre ich
eher für einen ungezwungenen Kunstspaziergang. Ich kann mich nicht ewig vor
einem einzelnen Bild aufhalten bis es sich mir erschließt. Für mich muss Kunst
abwechslungsreich und kurzweilig sein und wie Musik oder ein guter Wein dazu
dienen, ein angeregtes Gespräch zu unterstützen. Nicht mehr. Verstehen Sie,
Eliza?“
Eigentlich verstand Eliza nicht so
recht, denn dieses Gespräch, mit den zentralsten Werken der Wiener
Jahrhundertwende als Kulisse, kostete René jede halbe Stunde rund dreihundert
Euro, doch sie nickte und verband das erwiderte „Selbstverständlich“ mit einem
verbindlichen Lächeln. Sie schlug ihm vor, die Wien-1900-Schau aufzusuchen, da
diese auf die von ihm gewünschte komprimierte und abwechslungsreiche Weise
einen Querschnitt der Sammlung darstellte.
Dass diese Idee nicht zu ihren klügsten
Einfällen zählte, wurde Eliza erst klar, als sie den Knopf des Aufzuges
betätigte. Sie konnte ihm schließlich nicht zumuten, bis hinauf in den vierten
Stock zu laufen. Sie standen einander in der kleinen Zelle gegenüber wie zwei
Kontrahenten vor einem Wettkampf. Renés Blick war ununterbrochen auf sie
gerichtet und er schien sie mit seinen Augen regelrecht zu durchbohren. Er
stand äußerst selbstbewusst da; den Oberkörper gegen die Wand gelehnt, die Füße
überschlagen, eine Hand lässig in der Manteltasche. Er hatte es abgelehnt, den
Mantel an der Garderobe zu lassen und trug ihn nun offen zum weißen Hemd und
schwarzer Hose, dazu mehrere prächtige goldene Ringe an beiden Händen und einen goldgrundigen Seidenschal im klassischen
Versace-Design um den Hals. Er war eine schillernde und durchaus charismatische
Erscheinung und wenn man auf Machos und Mafiosi stand, war er mit seinen
markanten Gesichtszügen, dem vollen schwarzen Haar und den großen dunklen Augen
eine durchaus attraktive Erscheinung. Der Ausdruck, den sein Gesicht zeigte,
war eine Mischung aus abschätzendem Interesse und überheblichem Amüsement.
Eliza wusste ihrerseits nicht, wohin sie schauen sollte. Seine kalten,
lüsternen Augen trafen sie bis ins Mark und sie hatte keine Möglichkeit, seinem
unangenehmen, direkten Blick zu entfliehen. Der penetrante Geruch seines
pompösen Parfüms vernebelte fast ihre Sinne. Der Aufzug schien sich heute in
Zeitlupe zu bewegen und langsam spürte sie, wie der erste Anflug von Panik in
ihr aufstieg. Warum war er hier? Und was, wenn Valeriu nicht übertrieben hatte
und René wirklich zu einem gewaltsamen Rachefeldzug bereit war? Er brauchte nur
auf einen der kleinen Knöpfe zu drücken, die er so geschickt mit seinem Körper
verbarg und der Aufzug würde augenblicklich anhalten und sie säße in der Falle.
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie spürte, wie ihre Stirn und ihre Hände
schweißfeucht wurden.
„Sie wirken sehr nervös, Eliza. Hat
Ihnen Valeriu Angst vor mir gemacht? Was hat er Ihnen erzählt?“ wollte er
wissen und der französische Akzent, den sie bei den meisten Menschen als
charmant und angenehm empfand, stieß sie aus seinem Mund ab, obwohl seine
Stimme eigentlich tief und wohlklingend war.
„Er hat mir erzählt, dass Sie einander
schon sehr lange kennen und –“
„Und was?“ bohrte er weiter.
Eliza entschloss sich, dass es besser
wäre, mit offenen Karten zu spielen, als das unterschwellig Bedrohliche der
Unterhaltung weiter anzuheizen.
„Nun, er sagte, dass ein lange
zurückliegender Streit Ihr Verhältnis zueinander bis heute trübt.“
Für einen Moment gelang es ihr, ihm
ebenso unverwandt in die Augen zu sehen, wie es ihm umgekehrt offenbar
keinerlei Mühe bereitete. Sie hatte noch nie so dunkle, geradezu tiefschwarze
Augen gesehen – Iris und Pupille waren nicht zu unterscheiden, was sie
befremdlich und unnatürlich kalt erscheinen ließ. Endlich hielt der Aufzug und
nach einer endlos scheinenden Sekunde der für sichere Aufzugsysteme typischen
Verzögerung, öffnete sich die Tür. Eliza eilte nach draußen und auf Renés
Gesicht malte sich ein diabolisches Grinsen, als er ihr gemessenen Schritts
folgte. Er blieb absichtlich zwei oder drei Schritte hinter ihr zurück und sie
spürte seinen stechenden, begehrlichen Blick im
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