Somnambul Eliza (German Edition)
dass wir ihren
fachkundigen Rat brauchen.“
Eigentlich waren Eliza die
Wahrsagekünste ihrer Großmutter mehr als genug, aber der öffentliche Ort ihres
Treffens ließ sie Hoffnung schöpfen, dass Ileana nicht die ganze Bandbreite
ihres hellseherischen Könnens an ihr durchexerzieren würde.
Als
sie aus der Haustür traten, erhaschten sie die letzten Sonnenstrahlen dieses
freundlichen Novembertages, an dem noch keine Flocke Schnee und kein Tropfen
Regen gefallen waren. Sie entschieden sich, zu Fuß zum Café in der Innenstadt
zu gehen. Gleich hinter dem Haus führte die Drahtbrücke über die Fulda und erst
auf der Brücke spürte man, dass es tatsächlich Winter war. Ein eisiger Wind pfiff
und ließ die Brücke auf bedenkliche Weise schwanken. Die weiten schwarzen
Sachen wehten um Sibylles zierlichen Körper und ihre rote Mähne tanzte wie ein
Flammenmeer im Sturm, dass man Angst haben musste, sie würde jeden Moment
abheben und über die Brüstung getragen werden. Als sie den Auedamm auf der
anderen Uferseite betraten, hatte sich der Wind gelegt oder fühlte sich
zumindest weit weniger ungemütlich an, als auf einer schwankenden Brücke. Sie
spazierten an der Hessenkampfbahn vorbei bis zur Orangerie und bogen dann in
die Karlsaue ein, um die Documenta-Treppe zum
Friedrichsplatz hinaufzusteigen. Eliza holte tief Luft, ehe sie das Café
betraten. Ileana war noch nicht da und sie wählten einen der kleinen Tische
ganz vorn am Fenster. Zum einen hatte man von hier aus die Tür im Blick und war
dennoch vergleichsweise ungestört von den übrigen Café-Besuchern, zum anderen
hatte man einen fantastischen Blick über den ganzen winterlichen
Friedrichsplatz mit dem Fridericianum im Hintergrund.
Dann öffnete sich die Tür und Ileana
trat ein. Sie sah anders aus, als Eliza sie in Erinnerung hatte und doch hatte
sie sie sofort erkannt. In ihren Kindheitserinnerungen war Ileana eine
exotische, latent unheimliche Person, der etwas Geheimnisvolles anhaftete.
Irgendwie hatte Eliza eine alte Zigeunerin mit großen Ohrringen, Kopftuch und
buntem Rock erwartet, obwohl Ileana diesem Klischee wohl auch früher schon
nicht entsprochen hatte. Trotzdem hatte Eliza ihr Bild im Laufe der Jahre
entsprechend ihren Vorstellungen verklärt und aus der langjährigen Freundin
ihrer Großmutter war mit der Zeit eine Märchenhexe geworden. Doch die kleine
schlanke Frau, die jetzt auf sie zutrat, trug ihr dunkles, von Silberfäden
durchwirktes, lockiges, kaum kinnlanges Haar adrett gebändigt und hinter die
Ohren gekämmt. Sie trug ein taubenblaues knielanges Kleid mit einer graublauen
Cardigan darüber und einen lässig umgehängten langen Seidenschal in herrlichen
Blautönen. Eliza fiel der schlichte, geschmackvolle Silberschmuck auf, den sie
zu dem eleganten Ensemble kombiniert hatte. Sibylle und Eliza waren
aufgestanden und Ileana begrüßte erst ihre Freundin und umarmte dann Eliza.
Ihre großen dunklen Augen schienen keine düsteren Geheimnisse zu verbergen,
vielmehr blickten sie Eliza freundlich, offen und interessiert an.
„Wie viele Jahre ist das her, Eliza. Als
wir uns das letzte Mal begegnet sind, gingst du noch zur Schule. In die
Mittelstufe, wenn ich mich richtig erinnere.“
Sie nahmen Platz und bestellten ihren
Kaffee.
Das Gespräch begann mit dem üblichen
Smalltalk, wie bei Familienfeiern, bei denen man entfernte Verwandte trifft,
denen man gleichermaßen fremd und vertraut ist und mit denen es auf merkwürdige
Weise leicht fällt, die Geschehnisse mehrerer Jahre zu überbrücken.
Doch dann unterbrach Ileana die
Unterhaltung mitten im Satz und langte über den Tisch nach Elizas Arm.
„Wo hast du den her, Kind?“ fragte sie
sichtlich um Fassung bemüht und ihre rau-herbe Stimme bebte. Ihr leicht
südländischer Teint wich einer totenbleichen Gesichtsfarbe und die Finger der
Hand, die Elizas Handgelenk umklammert hielt, zitterten.
„Den Ring, woher hast du ihn?“
wiederholte sie.
„Ein Freund hat ihn mir geschenkt“,
antwortete Eliza um eine ruhige Stimme bemüht, doch die Aufregung färbte auf
sie ab. „Das war es, worüber wir mit dir sprechen wollten.“
Ileana schlug hastig ein Kreuz vor ihrer
Brust, eine Geste, die auf Eliza, als nicht gerade gläubige Protestantin, immer
besonderen Eindruck machte. Doch in diesem Fall konnte sie sich den
Zusammenhang erst recht nicht erklären.
„Was für ein Freund ist das, der dir
diesen Ring gegeben hat?“ wollte Ileana mit noch immer bebender Stimme
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