Somnambul Eliza (German Edition)
den Ring.
„Zieh ihn wieder an und dann gleich
nochmal dasselbe“, gab sie vor.
Diesmal stemmte sich Sibylle mit aller
Kraft auf Elizas ausgestreckten Arm, doch der gab keinen Millimeter nach. Es
sah aus, als wolle die kleine rothaarige Person Klimmzüge am Arm ihrer Enkelin
machen, doch sie konnte ihn kein Stück vom Fleck bewegen.
„Aha. Er hat also eine konkrete
Bewandtnis. Ganz offensichtlich lag ich mit meiner Vermutung richtig, dass
Valeriu genau wusste, was er tat, als er dir den Ring mitgab. Hier ist mehr am
Werk als ein bisschen Symbol-Aberglaube und Budenzauber. Das ist echte Magie,
ein massiver Schutzzauber, mein Kätzchen. Und er hat den konkreten Auftrag,
dich vor diesem Mann zu schützen.“
„Jetzt hat er wieder die Farbe geändert.
Schau dir das an. So hat er ausgesehen, als ich ihn gestern Morgen angezogen
habe“, stellte Eliza verwundert fest.
Oma Sibylle betrachtete den Ring an
Elizas Finger nochmals eingehend.
„Tatsächlich. Jetzt opalisiert er in
allen Rotnuancen. Das ist wirklich erstaunlich. Gib mir mal den Kreuz-Buben.“
Sibylle nahm die Spielkarte und legte
sie ans andere Ende des Küchentischs. Diesmal konnten sie zuschauen, wie der
Opal seine Farbe veränderte. Das rotflammende Glühen verging wie ein
erlöschendes Feuer und machte einem kühlen, blauschwarzgrundigen Glitzern, Schimmern und Funkeln in strahlenden Blau-, Türkis- und Grüntönen
Platz, die für Eliza aufs Engste mit Valerius exotischen Augen verknüpft waren
und deren Anblick ihr einen schmerzlich-sehnsüchtigen Stich ins Herz
versetzten.
„Wenn der Ring mit dem Farbwechsel auf
eine Gefahr und auf Renés Gegenwart hinweist, warum ist er dann gestern Morgen
in Wien rot gewesen?“ grübelte Eliza und merkte selbst, dass von ihrer Distanz
zu allem Esoterischen und Übersinnlichen nicht viel übrig geblieben war.
„Entweder war dieser René gestern
Vormittag näher, als du dachtest oder der Ring schlägt noch bei jemandem anders
an.“
„Da war aber nichts Gefährliches. Ich
war mit Wilbert und den Katzen allein im Haus.“
Sibylle nahm den Pik-Buben und den
Herz-Buben aus dem Kartenbild, von denen sie gemeinsam eruiert hatten, dass es
sich um Wilbert und Stephan handeln musste. Jetzt drückte Sibylle Eliza
nacheinander die beiden Buben in die Hand, doch der Opal schillerte weiter
türkisgrün. Sibylle schüttelte den Kopf und griff dann nach dem Herz-König.
Eliza wollte protestieren: „Valeriu war
doch gar nicht zu Hause.“ Doch kaum hatte sie die Karte in die Hand genommen,
begann der Opal förmlich Funken zu schlagen und in purpurnem Feuer zu
erglühen.
„Das ist erstaunlich. Wirklich
erstaunlich“, murmelte Sibylle vor sich hin. „Was könnten die beiden gemeinsam
haben?“
Valeriu und ich sind uns sehr ähnlich .
Du solltest mich und meinesgleichen
verachten.
Da waren sie wieder, die Stimmen von
René und Valeriu mit ihrem beunruhigenden Omen.
„Ich weiß es einfach nicht. Diese Frage
stelle ich mir schon seit einiger Zeit, aber ich finde keine Antwort. Valeriu
hat mir nicht erzählen wollen, woher sie sich kennen und auch nicht, was genau
zwischen ihnen vorgefallen ist.“
„Valeriu stammt aus Rumänien, richtig?“
„Ja, schon. Aber René ist Franzose.“
„Das meinte ich nicht, Kätzchen.
Rumänien ist bis heute ein Land voller Magie und Aberglaube.“
Eliza runzelte die Stirn. „Das gleiche habe
ich schon einmal gehört. Aber worauf willst du hinaus?“
„Ich dachte, dass wir beide uns
vielleicht einmal mit meiner Freundin Ileana unterhalten sollten“, schlug
Sibylle vor.
Eliza kräuselte die Lippen. Sie konnte sich
noch lebhaft an ihre wenigen Begegnungen mit Ileana erinnern. Damals war sie
noch ein Kind gewesen und hatte sich stets ein bisschen vor der Frau mit den
großen dunklen Augen, der rauen Stimme und der harten Aussprache gefürchtet.
Ileana war so etwas wie Sibylles Mentorin und eine waschechte Wahrsagerin aus
einer alten rumänischen Zigeunerfamilie.
„Gut, wenn du meinst, dass das eine
Frage der Nationalität ist. Mir sind mittlerweile fast alle Mittel recht, um
ein wenig Klarheit in diese Angelegenheit zu bringen“, erwiderte Eliza etwas
misstrauisch.
Sibylle telefonierte mit ihrer Freundin
und vereinbarte ein gemeinsames Kaffeetrinken noch am gleichen Spätnachmittag.
„Wir treffen uns um fünf im Café
Nenninger“, verkündete sie stolz, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte.
„Ileana ist schon ganz neugierig. Aber ich habe ihr nur gesagt,
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