Somnambul Eliza (German Edition)
diesem
Moment schien sein Assistent aus dem tranceartigen Zustand zu erwachen, in dem
er sich während des gesamten Gesprächs befunden hatte und bedankte und
verabschiedete sich ebenfalls brav bei jedem Einzelnen.
Dann begleitete Valeriu die Polizisten
zur Tür.
„René ist doch immer wieder für
Überraschungen gut“, meinte Aurica, als Valeriu zurückkam und ihr ernster
Tonfall stand im eigenartigen Kontrast zu diesem lockeren Spruch.
Valeriu nahm wieder seinen Platz neben
Eliza ein und zog sie so in seinen Arm, dass sie bequem an seiner Schulter
lehnte.
„Ich hatte ihm vieles zugetraut, aber
inmitten des eigenen Bekanntenkreises zu jagen, ist an Leichtsinn kaum zu
überbieten. Und dann auch noch die Dreistigkeit zu besitzen, das
Geburtstagskind zum Opfer zu wählen und zu entführen, während die Gäste noch im
gleichen Haus feiern. Da fehlen mir die Worte“, machte Aurica ihrer Entrüstung
Luft.
„Ich kann deine Verwunderung nicht ganz
nachvollziehen, mein Schatz. Schließlich war die leichtsinnige, tollkühne Jagd
auf entsprechend willige Opfer immer Renés Spezialität“, entgegnete Laurin .
„Aber die Zeiten haben sich geändert,
mein Lieber“, widersprach Aurica.
„Offenbar nicht für René“, warf Valeriu ein
und der düstere Klang seiner schönen Stimme ließ eine kurze Pause eintreten.
Eliza kuschelte sich enger in seine
Armbeuge und es hatte eine beruhigende Wirkung auf sie, als Valeriu darauf
reagierte, indem er begann, ihre Schulter zu massieren.
„Was habt ihr eigentlich mit dem
Inspektor angestellt? Ihr habt die beiden regelrecht manipuliert, oder?“ wollte
sie wissen.
„Offensichtlich war das nichts im
Vergleich zu dem, was René getan hat. Allem Anschein nach, kann sich keiner der
Partygäste an seine bloße Anwesenheit erinnern. Er führt uns damit deutlich vor
Augen, wie phänomenal sich seine Fähigkeiten dank seiner traditionellen
Ernährungsweise entwickelt haben“, erklärte Laurin .
„Hast du nicht gesagt, ihr würdet
einander niemals die Polizei auf den Hals hetzen?“ fragte Eliza zu Valeriu
gewandt.
„Das stimmt. René hat es in mehrfacher
Hinsicht darauf angelegt, dass die Ermittler auf mich und letztlich auf uns
alle aufmerksam wurden. Das ist in der Tat ein Verstoß gegen den Kodex. Noch
schwerer wiegt aber, dass er Frau Algeyer die klassischen Wundmale zugefügt
hat.“
Eliza verzog das Gesicht. „Das bedeutet,
dass er sie in den Hals gebissen und ihr das Blut ausgesaugt hat, wie im Film?“
Valeriu nickte ernst. „Genau das ist das
Problem. Die Pop- und Medienkultur hat dafür gesorgt, dass jedes Kind mit
Wundmalen am Hals einen Vampirbiss assoziiert. Daher
ist es sicherer, beispielsweise einen Suizid durch den Pulsaderschnitt
vorzutäuschen. Die Halsschlagader sollte dagegen tabu sein.“
Laurin nickte
zustimmend. „Das ist in heutigen Zeiten eine schwerwiegende Verletzung des
Arkanums.“
„Und die Konsequenzen?“ wollte Eliza
atemlos wissen.
Sie spürte, wie Valeriu seinen Körper
neben ihr straffte. Dann sagte er ruhig: „Zunächst hat das keine direkten
Auswirkungen. Aber wenn ich René nun nach all dem töten würde, hätte ich
vermutlich keine Konsequenzen zu erwarten.“
Eliza nickte stumm. Im Augenblick fehlte
ihr der Mut, Valeriu zu fragen, ob er schon einen entsprechenden Entschluss
gefasst hatte und in diesem Fall gegen seine Entscheidung aufzubegehren.
Als die Ionescus schließlich aufbrachen, war die Dämmerung nicht mehr fern und Valeriu blieb
nicht mehr allzu viel Zeit, um Elizas Schlaf zu bewachen, ehe er sich selbst in
seine dunklen Gemächer zurückzog.
Eliza
erwartete jeden Tag mit Sorge einen weiteren Besuch der Polizisten, doch ihre
Befürchtungen schienen unbegründet. Sowohl die riesige Todesanzeige in der
Zeitung als auch die Trauerkarte, die sie erhielten, machten deutlich, dass die
Angehörigen von einem, wenn auch überraschenden, Selbstmord ausgingen.
Eine Woche später fand die Trauerfeier
statt. Den Termin nachmittags um 15 Uhr konnte jedoch weder Valeriu noch Aurica
oder Laurin wahrnehmen.
„Ich werde stellvertretend für uns alle
hingehen“, bot Eliza an, doch Valeriu war skeptisch.
„Ich möchte dich ungern allein gehen
lassen. Der Inspektor könnte dort sein und dir Fragen stellen; du könntest
meinetwegen Anfeindungen ausgesetzt sein.“
„Ich weiß, weswegen du dir wirklich
Sorgen machst. Aber für René ist es ebenso unmöglich, dort zu sein, wie für
dich. Außerdem wird er wohl kaum
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