Somnambul Eliza (German Edition)
zur Beerdigung seines eigenen Opfers
erscheinen.“
„Da bin ich mir bei René nicht so
sicher. Aber ich denke, es gibt einen Kompromiss. Du vertrittst uns in der
Kapelle und wenn sich der Trauermarsch etwa eine Stunde später in Bewegung
setzt und die Dämmerung anbricht, werden wir da sein und mit zum Grab gehen.“
„Vergiss nicht, deinen Ring
anzuziehen und nimm ihn erst wieder ab, wenn ich dich beim Trauermarsch am Arm
nehme“, erinnerte Valeriu Eliza später und verlieh seiner Forderung durch einen
langen Kuss Nachdruck.
Als Eliza aus dem Fond der Limousine
stieg, schlug ihr eisiger Wind ins Gesicht.
Es war ein bitterkalter Tag, wohl der
bisher kälteste in diesem Jahr. Dabei war der Himmel glöckchenklar und die strahlende Wintersonne reflektierte die Schnee- und Eiskristalle in
tausendfacher Weise. Es gab keinen Neuschnee, aber sobald der schneidende Wind
in einzelnen heftigen, stoßartigen Böen blies, wirbelte er den pulvrig leichten
Schnee auf und ließ ihn zu auf der Haut prickelnden Geschossen werden.
Eliza schlug den Kragen ihres schwarzen
Mantels hoch und reihte sich in den Strom der Trauergäste ein. Sie ertappte
sich dabei, wie sie zwischen den vielen schwarzgekleideten Menschen René zu
erblicken fürchtete und nervös über den Ring strich, den sie unter ihrem
ledernen Handschuh trug. Auch nach Inspektor Kaminski hielt sie Ausschau, doch
keiner von beiden war zu sehen. Es war eine riesige Beerdigung und der
prächtige Blumenschmuck in der Friedhofskapelle überwältigend. Eliza nahm in
einer Bank im letzten Drittel der Halle Platz. Die engsten Angehörigen kamen,
begleitet vom Klang der Orgel, zuletzt in die Kapelle. Die Algeyers hatten
keine Kinder. Herr Algeyer ging gramgebeugt neben einer freundlich aussehenden
alten Dame mit leichter Gehbehinderung, vielleicht seiner Schwester.
Die Familie hatte gerade in der ersten
Reihe Platz genommen und die Gemeinde verharrte in einem Moment stillen
Gedenkens, als von hinten Schritte auf dem steinernen Boden ertönten. Nicht
eilig, aber schallend kamen sie näher. Nur einer konnte so dreist auf sein
Zuspätkommen aufmerksam machen. Eliza hielt die Luft an und einer unerklärlichen
Eingebung folgend behielt sie die Handschuhe an, die sie gerade im Begriff
gewesen war, abzustreifen. Sie hielt den Blick starr geradeaus gerichtet, doch
schon im nächsten Moment sah sie aus dem Augenwinkel, wie sich jemand an den
Leuten neben ihr vorbei in ihre Reihe drängte und sich direkt an ihrer Seite
niederließ.
„Eliza, ma chère ! Ich hatte gehofft, dich hier zu treffen“,
säuselte ihr René ins Ohr.
„Ich war auf deine Anwesenheit weniger
erpicht. Und ich hatte sie nicht erwartet. Besitzt du eigentlich keinen Funken
Anstand oder Gewissen?“ erwiderte Eliza leise und bemühte sich dabei, so viel
Gift und Entrüstung in ihre geflüsterten Worte zu legen, wie irgend möglich.
„Ich muss gestehen, dass beides nicht
gerade zu meinen Stärken zählt. Aber warum so abweisend, meine Liebe?“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du
darauf ernsthaft eine Antwort erwartest, René“, sagte sie kühl.
René grinste. „Ich habe das Gefühl, du
überspielst mit deiner Kratzbürstigkeit nur deine Angst. Du fragst dich, warum
ich hier sein kann und Valeriu nicht“, riet er und schaute Eliza triumphierend
an.
„Ich vermute, du wirst es mir gleich
erklären“, entgegnete Eliza betont gleichgültig.
Renés Mund berührte fast ihr Ohr, als er
ihr zuflüsterte: „Du solltest lernen, das Wetter besser im Auge zu behalten.
Draußen sind Wolken aufgezogen, meine Liebe. Ich nehme an, du weißt inzwischen,
was das bedeutet. Außerdem geht nichts über eine gesunde Ernährung“, erklärte
er selbstgefällig. Dann fügte er dämonisch grinsend hinzu: „Solange Valeriu den
Moralapostel spielt und sich mit Konserven begnügt, bin ich ihm in jeder
Hinsicht überlegen.“
„Wozu bist du hier, René? Warum musst du
auch noch diese Trauerfeier stören?“
„Ich bin ihr Initiator. Ich finde, ich
habe jedes Recht hier zu sein.“ Wieder rollte sich seine amphibienähnliche
Zunge genüsslich zwischen seinen Lippen hervor.
„Du bist abscheulich. Zerfressen von
Zynismus und Hass“, sagte Eliza leise.
Wieder war er so dicht an ihrem Ohr,
dass seine Lippen sie fast berührten: „Die Unsterblichkeit macht wohl jeden
früher oder später zum Zyniker. Aber Hass? Nein, ich liebe die Welt. Ich bin
der Inbegriff der Spaßgesellschaft. Ich genieße die
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