Somnambul Eliza (German Edition)
die Bar später verließen, da
eine Gruppe amerikanischer Touristen am Nebentisch einige Drinks zu viel
genommen hatten und nun alle anderen Gäste mit unterhielten, waren Valeriu und
Eliza noch hellwach. Ehe sie in den Wagen stiegen, sagte Eliza: „Ich habe mich
bisher nicht getraut, mir Wien bei Nacht anzusehen.“
Sie musste gar nicht weiterreden,
denn Valeriu verstand sofort: „Dann werde wir beide jetzt einen nächtlichen
Spaziergang unternehmen und ich verspreche dir, dass du dich an meiner Seite
vor nichts und niemandem zu fürchten brauchst.“
Eliza meinte zu vernehmen, wie er
hinzufügte „Außer vor mir“, aber seine Lippen hatten sich überhaupt nicht
bewegt. Ein leichtes Frösteln durchfuhr sie, doch wahrscheinlich hatte sie sich
diese bedrohliche Ergänzung bloß eingebildet, denn von Valeriu hatte sie
bestimmt nichts zu befürchten – da war sie sich sicher. Valeriu gab Wilbert
Bescheid, dass er ihn per Handy informieren würde, sobald sie den Wagen
brauchten. Dann legte er seinen Arm um Elizas Schulter und sie spazierten durch
den Kärntner Durchgang und die Göttweihergasse in
Richtung Michaelerplatz . Die Nacht war frisch, aber
trocken und sternenklar. Eliza genoss den Kontrast, den die wohltuende Stille
der nächtlichen Stadt zu der ohrenbetäubenden Geräuschkulisse aus Jazzklängen
und menschlichem Stimmengewirr in der Loos-Bar bildete. In der Tat fühlte sie
sich ausgesprochen sicher in Valerius Armen und ihre Füße liefen trotz der
hochhackigen Pumps wie von selbst über das Pflaster der Altstadt. Sie sprachen
noch immer über die Zauberflöte und waren mittlerweile bei der Verehrung
des Alten Ägyptens im 18. Jahrhunderts angelangt und sammelten Anhaltspunkte
dafür, dass die Handlung der Zauberflöte in Ägypten angesiedelt war.
Inzwischen standen sie vor der prächtig illuminierten Hofburg. Sie näherten
sich dem imposanten Brunnen mit seiner Figurengruppe aus Giganten und
Seeungeheuern, der sich aus der Außenfassade des Michaelertraktes der Hofburg schälte und so kunstvoll beleuchtet war, dass die Figuren durch das
Spiel von Licht und Schatten wie lebendig wirkten. Dann nahmen sie das Thema
der Ägyptenfaszination in der Zauberflöte wieder auf, was sie zum Kult des
altägyptischen Gottespaares Isis und Osiris führte.
Eliza musste lächeln, denn das
Gesprächsthema weckte Kindheitserinnerungen.
„Als ich klein war, hat mein Vater mir
anstelle der Grimm'schen Märchen altägyptische Mythen
erzählt. Sie waren teilweise ziemlich grausam, aber ich habe sie geliebt, weil
sie so bildreich und phantastisch waren.“
„Ist das dein Ernst? Du bist mit den
Mythen der alten Zeit aufgewachsen wie andere Kinder mit Dornröschen und
Rapunzel?“
Eliza nickte. „Mein Vater hat sich
bemüht, sie mir ganz bildhaft zu schildern. Die besonders grausamen und
sexuellen Details hat er ein bisschen geglättet. Aber du weißt ja, wie Kinder
sind. Ich wusste immer genau, an welchen Stellen ich nachfragen musste, um mich
zu gruseln oder mir abenteuerliche Dinge auszumalen. Ich hatte diese Skulpturen
von Bastet und Anubis, von Osiris und Isis und habe
damit die Geschichten nachgespielt, wie Mädchen eigentlich mit Barbie-Puppen
spielen. Kennst du die Geschichte von Isis und Osiris?“
„Ich fände es schön, wenn du sie mir
erzählen würdest“, erwiderte Valeriu, ohne ihre Frage zu beantworten.
„Also gut. Laut der ägyptischen
Mythologie waren Isis und Osiris die Kinder von Nuth und Geb. Sie waren Zwillinge, die einander schon im Mutterleib liebten und
daher als Erwachsene ein Liebespaar wurden. Dann gab es noch zwei weitere
Geschwister der beiden – Seth und Nephthys , die ebenfalls
ein Paar bildeten. Während Osiris die guten Dinge schätzte und ein gütiger
Herrscher war, der das ägyptische Volk vieles lehrte, unter anderem den Acker-
und Weinbau, wurde Seth ausschließlich von Hass, Neid und Missgunst getrieben.
Die beiden verabscheuten einander und bekriegten sich. Dann griff Seth zu einer
List und lud zu einem großen Gastmahl ein, bei dem alle Gäste in eine
prunkvolle Truhe stiegen, um zu sehen, wer sie am besten ausfüllen würde. Der
Sieger sollte die Truhe zum Geschenk erhalten. Der Schrein war genau auf
Osiris' Maße zugeschnitten und als dieser hineinstieg, schlug Seth den Deckel
zu und versiegelte ihn. Die Truhe, die nun ein Sarg war, wurde ins Meer
geworfen und versenkt. Isis trauerte um ihren Gemahl und wurde nicht müde, nach
der Kiste zu suchen. Schließlich fand sie
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