Somnambul Eliza (German Edition)
Bis auf einen Kamin, auf dem eine große Vase mit altenglischen
Rosen stand und über dessen Sims ein großer quadratischer Spiegel angebracht
war, der die Form des Raumes wieder aufnahm, war die Halle leer. Doch an den
beiden Seitenwänden hingen einander zwei großformatige Aquarelle gegenüber, die
Elizas Aufmerksamkeit umgehend auf sich zogen. Sie zeigten in flüchtiger,
skizzenhafter, gestischer Manier gemalte Portraitgesichter ,
die ineinander übergingen, miteinander verschmolzen und verschiedene
Gemütszustände ausdrückten. Manche der Gesichter waren entzückend oder
schmerzhaft lebensnah, so dass man versucht war, mit ihnen zu lachen oder zu
weinen. Andere waren fast geisterhaft entrückt, unheimlich in ihrer
selbstvergessenen Trance. Sie brachen wie aus einem Nebel aus dem diffusen
farbigen Untergrund hervor, traten gleichsam wie durch den Wasserspiegel ans
Licht, wie Narziss sich in der Quelle erkannt hatte.
„Ich finde, jedes dieser Gesichter hat
seine eigene Persönlichkeit. Egal, wie man sich gerade fühlt, findet man unter
ihnen ein Gegenstück. Das kann sehr tröstlich sein“, erklärte Valeriu.
„Sie sind auf jeden Fall sehr individuell.
Ich glaube, man könnte mit jedem einzelnen lange Zwiesprache halten.“
„Oh ja, sie sind ausgesprochen gute
Zuhörer“, bestätigte Valeriu mit einem Lächeln, das offen ließ, ob er wirklich
bereits solch einseitige Gespräche mit seinen Bildern geführt hatte.
Eliza musste sich regelrecht losreißen
von diesen Gesichtern, die so viel zu erzählen hatten. Von der Halle gingen
mehrere Türen ab, offenbar waren die Räume u-förmig um die Halle gruppiert.
Eliza fühlte sich wie in einem Traum, als Valeriu eine der Türen öffnete und
sie in seine Welt eintreten ließ.
Zuerst betraten sie ein bezauberndes
Wohnzimmer, doch eigentlich war der Begriff Kaminzimmer zutreffender, denn die
einladende Biedermeier-Sitzgruppe mit dem überbreiten Sofa war um einen offenen
Kamin gruppiert.
Der Raum hatte einen rechteckigen,
erkerähnlichen Anbau, dessen große Sprossenfenster ihm den Charakter eines
geschmackvollen Wintergartens verliehen und in drei Richtungen den Blick auf den
verwunschenen Park freigaben. Zwei ebenso verglaste Flügeltüren führten nach
draußen auf eine Art Veranda.
Valeriu öffnete Eliza die Tür nach
draußen. Zwischen Amphoren mit herrlichen englischen Rosen stand eine
schmiedeeiserne Gartenbank.
„Es muss herrlich sein, hier bei
Sonnenschein zu sitzen und Kaffee zu trinken“, meinte Eliza.
„Ja, das glaube ich auch“, erwiderte
Valeriu mit einem latent wehmütigen Klang in der Stimme, was Eliza verwunderte.
Es klang, als hätte er selbst sich noch nie die Zeit dazu genommen.
Eliza trat an die ebenso schmiedeeiserne
Brüstung und erkannte, dass von der Terrasse aus eine imposante geschwungene,
zweiarmige Freitreppe hinunter in den Park führte.
Zurück im Kaminzimmer bewunderte Eliza
die herrlichen Biedermeier-Details.
Auf einem Demi- Lune -Tischchen
sowie auf dem Nussbaum-Board mit den schwarzen Säulen waren Kerzenleuchter und
einige Kunstgegenstände dekoriert. Eliza trat näher und sie wollte nach einem
kleinen trichterförmigen Porzellanobjekt greifen, doch sie hielt sich im
letzten Moment zurück.
„Darf ich das anfassen?“ fragte sie
stattdessen.
„Du kannst hier natürlich alles
anfassen. Dieses Haus ist kein Museum“, erwiderte Valeriu und seine Worte
klangen fast ein bisschen gekränkt.
Was Elizas Aufmerksamkeit auf sich gezogen
hatte, war ein antiker Kerzenlöscher aus Meißner Porzellan, der neben einem der
Lüster stand.
„Das ist ein sehr seltenes Stück.“
Vorsichtig nahm sie das zierliche Objekt
in beide Hände. „Das stammt aus der Marcolini -Zeit um
1800. Ich habe noch nie eine so filigrane Figurenszene auf einem so kleinen
Gegenstand gesehen“, staunte sie.
„Woher kennst du dich so gut mit
Porzellan aus?“ wollte Valeriu wissen.
„Meine Mutter ist Antiquitätenhändlerin.
Ich habe schon als kleines Kind bei anderen Leuten die Teller umgedreht, um zu
gucken, ob blaue Schwerter darunter waren. Ich glaube, das war meinen Eltern
ziemlich peinlich.“
Valeriu lachte, was sein Gesicht noch
vollkommener wirken ließ.
„Unter diesen Voraussetzungen sollte ich
dir das Esszimmer wohl nicht vorenthalten“, meinte er schmunzelnd und öffnete
die Tür zum Raum nebenan.
Im Zentrum des Speisezimmers stand ein
ovaler Nussbaum-Tisch, um den acht Stühle angeordnet waren. Das Ensemble
zeichnete sich
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