Somnia Crudeles - grausame Traeume Vol II
verrieten seine Müdigkeit. Die ganze Nacht lang hatte er gegrübelt, während Manius geschlafen hatte – sonst war es stets andersherum gewesen.
Varro war sich nicht sicher, ob Sejan ihn anhören werde. Und wenn? Sejan besaß keine Vernunft. Vielleicht hatte er es deshalb so weit gebracht. Sejan fürchtete sich nicht vor dem Tod. Ebenso wie Manius kannte er keinen Gott. Doch Manius hatte Angst vor dem Unbekannten, das ihn nach dem letzten Atemzug erwartete: „Ich kann mir nicht vorstellen, nicht mehr zu denken, nicht mehr zu sein.“
Manius war noch keine Dreißig. Er wollte nicht so jung sterben, und schon gar nicht in dieser Zelle. Varro zweifelte zwar daran, dass Manius' Tränen echt waren, aber sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Varro versprach ihm: „Du wirst nicht sterben. Das lasse ich nicht zu. Ich bringe uns hier raus.“
Varro strich sein nasses Haar zurück, knöpfte sich die Uniform zu und gab den Wachen vor der Tür Bescheid.
Sie brachten ihn zu Sejan, der ihn in seinem Zimmer empfing. Der Mann wirkte ebenso übernächtigt wie Varro. Irgendetwas schien ihm über die Leber gelaufen zu sein – abgesehen von dem Inhalt der zwei leeren Weinflaschen neben seinem Bett. Kein gutes Zeichen.
Varro verbeugte sich: „Ich danke dir für die Audienz.“
Sejan reagierte boshaft auf die Höflichkeit: „Bedank dich, wenn ich dich hier lebend rauslasse.“
Obwohl Sejan ihn verunsicherte, ließ Varro sich nichts anmerken. Es war nicht einfach, denn Sejan wirkte wie eine verärgerte Raubkatze, die zum Sprung angesetzt hatte. Trotzdem blieb Varro ruhig: „Vielleicht kann ich dir eine bessere Entschädigung anbieten als meinen Tod.“
Sejans linke Augenbraue hob sich. „Wirst du Manius vor meinen Augen verspeisen?“
Warum fühlte Varro sich für Manius verantwortlich? Er konnte nicht anders: „Manius ist schwach. Er sollte mich bloß zu dir bringen, aber er verfiel wieder seinen Ideen. Es war meine Schuld. Ich nehme all seine Verfehlungen auf mich.“
„Diese Dummheit rettet keinem von euch den Hals.“
Um das zu unterstreichen, spielte Sejan demonstrativ mit einem seiner Messer herum.
Den ehemaligen Feldherrn beeindruckte das nicht. Er sprach bloß: „Manchmal ist es besser, die Klinge zu verbergen und sie erst im richtigen Moment zu ziehen. Vor allem wenn man damit auf einen Gegner wie Cato zielt.“
Sejan ließ sein Messer sinken. „Sind das deine Kriegsweisheiten?“
Varro nickte: „Ich kann dir nützlich sein. Ich habe Cato nicht nur als Söldner gedient, ich habe die taktischen Schwachstellen seiner Organisation analysiert und viele davon für mich behalten.“
„Du willst mir also deine Dienste anbieten.“
Varro ging auf die Knie, um Sejan seine Demut zu beweisen. „Ich biete dir meine Kampfkraft, mein Wissen und meine absolute Loyalität. Im Gegenzug bitte ich dich darum, Manius zu verschonen und meine Familie vor Catos Rache zu beschützen.“
Sejan konnte einen Mann wie Varro durchaus gut gebrauchen, doch der Preis war ihm zu hoch. „Du bist nicht unbedingt bescheiden, Varro. Dass ich dich am Leben lasse, sollte dir genügen.“
Allerdings konnte Sejan daran durchaus seinen Spaß haben – und ein wenig Aufheiterung kam ihm gerade recht. „Nun gut, ich bin großzügig. Ich lasse dich entscheiden: Manius oder deine Familie.“
Varro schüttelte den Kopf: „Verzeih mir, aber diese Entscheidung kannst du nicht von mir verlangen.“
„Oh doch.“
Sejan gab ihm etwas Zeit zu überlegen, während er Manius holen ließ.
Die Wächter führten Manius ins Zimmer. Varro sah die Hoffnung in Manius' Blick, und er sah sie schwinden, als Sejan ihm ein Messer reichte. „Wenn du deine Familie retten willst, dann schneide Manius die Kehle durch.“
Varro hatte sich entschieden. Er setzte die Klinge an Manius' Hals. Dann schloss er die Augen. Nur ein rascher Schnitt, und sie wären gerettet: seine Eltern, seine Brüder, seine Schwestern. Er wollte Manius dabei nicht ansehen müssen, aber Manius' Flüstern erreichte sein Ohr: „Du hast es mir versprochen.“
Varro ließ das Messer fallen. Er war sich sicher, dass Sejan das gewusst hatte. Sejans Lachen bestätigte es ihm: „Ich hoffe, deine Entscheidungen in der Schlacht sind klüger.“
V
Im Gegensatz zu Varro hatte Curio nichts mehr zu verlieren. Cato hatte die Familie des Trebius auslöschen lassen. Curio wollte Rache, und Sejan war seine einzige Möglichkeit.
Als sie ihn aus seiner Zelle holten und zu Sejan
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