Somnia Crudeles - grausame Traeume Vol II
ziehen. Vorher wollte er jedoch ein paar Geheimnisse lüften. Er konnte nicht anders. Seine Neugier war zu groß. Zuerst wollte er wissen, wie der Schwanz des Mannes aussah. Also öffnete er Gracchus die Hose. Nicht übel. Nur eines war vielleicht noch interessanter: Was verbarg sich unter Gracchus' Hemd? War der Mann tatsächlich entstellt? Darius begann, Gracchus das Hemd aufzuknöpfen. Etwas Schwarzes kam zum Vorschein. Mehr konnte er nicht sehen, denn Gracchus erwachte. Die Wirkung des Narkotikums war bei ihm beeinträchtigt. Er war zu sehr ans Morphium gewöhnt. Plötzlich packte er Darius an den Handgelenken und hielt ihn fest. „Für diese Dummheit musst du leider sterben, Darius.“
Jede Gegenwehr von Darius war aussichtslos. Gracchus besaß weitaus mehr Körperkraft als er. Der Mann rang Darius zu Boden und stützte sich auf dessen Arme.
Im Kampf hatte Darius keine Chance gegen Gracchus. Also versuchte er es mit Worten: „Wenn du mich tötest, wird Sejan dich dafür in Stücke hacken. Er hat sich meinetwegen sogar mit Cato angelegt.“
Der Senator runzelte die Stirn: „Glaubst du, dass du ihm so wichtig bist?“
Gracchus fürchtete sich nicht vor Sejan. Aber vielleicht war Darius ein guter Köder.
„Wir werden sehen. Sollte Sejan etwas an dir liegen, wird er meine Einladung annehmen. Wenn er ablehnt, wirst du sterben.“
Er ließ Darius los und stand auf. Als er seine Kleider richtete, sah er das Küchenmesser an Darius' Gürtel. Doch er nahm es ihm nicht weg. Er sprach bloß: „Sei so nett und tu es morgen in den Abwasch.“
VII
Silvius sah auf seine Handfläche. Nun trug er Sejans Zeichen.
„Ich werde dich ausbilden. Du wirst der perfekte Mörder werden.“
Davon war Silvius noch weit entfernt. Seine Bemühungen, das Messer auf ein Ziel zu schleudern, scheiterten anfangs oft. Und er bekam dafür jedes Mal die Gerte zu spüren. Sejan stand Cato darin in nichts nach. Aber Silvius war ein guter Schüler. Er übte nahezu verbissen, und seine erstaunlichen Reflexe entwickelten sich dabei noch weiter. Nach wenigen Tagen gelang es ihm, mit seinem Messer eine Taube zu erwischen. Sie hatte sich auf dem Fensterbrett niedergelassen, und ihr Gurren raubte Sejan die Nerven. Silvius wollte das Fenster schließen, aber Sejan verlangte: „Stich das Mistvieh ab!“
Das Wurfmesser beendete das Gurren, und der Vogel flog unfreiwillig vier Stockwerke hinab.
Silvius lief sein Messer holen. Dabei überkam ihn ein bisher unbekanntes Gefühl. Ein Teil von ihm bemitleidete die Taube, deren Leben er ausgelöscht hatte, und gleichzeitig war da eine Erregung, die durch seinen ganzen Körper fuhr. Es war die stärkere Empfindung.
Fortan war kein Vogel mehr vor ihm sicher. Die Räuber gaben ihm den Namen Avis – eher scherzhaft, aber Silvius war stolz darauf. Ein neuer Name bedeutete eine Veränderung.
An seinem Verhältnis zu Sejan änderte sich nichts. Körperlich konnte Silvius bei Sejan offensichtlich kein Interesse wecken. Zwar holte Sejan ihn nachts in sein Bett, aber er rührte ihn nicht an. Er nutzte ihn bloß als eine Art Wachhund, denn Silvius hatte einen leichten Schlaf. Dadurch konnte Sejan besser schlafen, Silvius hingegen schlechter. Anfangs war es die Furcht vor Sejan, die ihn wach hielt. Mittlerweile war es Sejans Körper. Silvius betrachtete ihn oft stundenlang in der Dunkelheit. Nie wagte er, ihn anzufassen, doch er regte seine Fantasie an.
Auch Sejan betrachtete Silvius häufig. Er suchte in dessen Gesichtszügen nach einer Ähnlichkeit zu Cato. Bis auf die grauen Augen fand er jedoch nichts. Es hatte keinen Sinn, Silvius mit Cato zu vergleichen. Der junge Mann war das Ebenbild seiner Mutter. Sie war eine Tänzerin gewesen, eine Lustsklavin. Sejan hatte sie tanzen sehen, eine verblühte Schönheit in einem billigen Bordell. Sie hatte ihn angelächelt: „Du bist also mein letzter Kunde.“
Cato wollte ihren Tod, und Sejan stellte keine Fragen. Sie gab ihm dennoch eine Antwort: „Ich bin die Mutter seines Sohnes.“
Sejan stach ihr die Klinge ins Herz.
Es war der letzte Mord, den er in Catos Auftrag ausführte.
Silvius wusste von alledem nichts. Er konnte sich an seine Mutter nicht erinnern. Ein paar Wochen nach seiner Geburt war er verkauft worden.
Und was wusste er über seinen Vater? „Ich weiß nur, dass er Gladiator war. Viel habe ich wohl nicht von ihm geerbt.“
Das würde sich noch herausstellen. Schließlich war Silvius erst achtzehn Jahre alt. Es lag an Sejan, ihn zum
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