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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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man annehmen!»
    «Volk und Armee Hand in Hand!»
    Jedes Jahr werden in der Roten Armee 10 000 Soldaten von ihren Kameraden umgebracht.
    In der deutschen Armee hieß das«Heiliger Geist», aber da wurde niemand totgeschlagen. Trotzdem unverständlich, daß sie bei Preußens so unkameradschaftlich sein konnten.«Ehre»? Das waren niedrige Instinkte, alle auf einen, nur weil er falsch«links um!»gemacht hat.
    Die Vielfalt der Putschinteressen habe die Sache zum Scheitern gebracht.
    Sie haben versäumt,
    • Schlüsselpositionen einzunehmen
    • die Gegenspieler zu isolieren.
     
    Halbherzig, ein halber Putsch.
    Schlechte Organisation.
    Nicht ein einziges Statement aus den neuen Bundesländern.
     
    22 Uhr
    Mehr Panzer aufgefahren in Moskau als 1945 in Berlin.
     
    23 Uhr
    «Mehrere zehntausend Menschen.»- Weshalb nicht«Zigtausende»?
     
    Reaktionen von Schriftstellern. Walser meint, Kohl und Gorbatschow hätten einander am Steilufer des Kaukasus-Flusses helfend die Hand gereicht. Haben sie eben nicht, Kohl hat die Hand Gorbatschows ausgeschlagen, wie neulich erst wieder zu sehen war. – Mit seiner Ansicht, daß es richtig war,«schnell»die Einigung herbeizuführen, stimme ich natürlich überein. Biermann sagt ähnliches. Letzterer hat Glänzendes von sich gegeben.

Nartum Do 22. August 1991
     
    Gorbatschow ist wieder da.
     
    «Das Wunder von Moskau»(«Mannheimer Morgen»).
    «Grandioser Sieg»(«Hannoversche Allgemeine»).
    «Selbstbesessene Machtclique»(«Westfälische Nachrichten»).
    «Friedensnobelpreis für Jelzin»(«Welt»).
    «Duell der Dilettanten?»(«Süddeutsche Zeitung»)
    «Ausmistung eines Augiasstalles ist nötig»(«Rheinische Post»)
     
    Die brennenden Panzer der Nacht als stoßender Penis gegen die weiche Wand der Omnibusse.
    Heute früh Jelzin vor sicher 200 000 Menschen, ein Pudding von Menschenmasse.
    Jelzin redete wie ein Beamter, kein zündender Aufruf wie damals Reuter in Berlin:«Schaut auf diese Stadt!»Mehr ein Herleiern. Aber einen guten Redner brauchen sie jetzt wohl auch nicht mehr.
    So wäre also die Demokratie in der Sowjetunion gerettet! Was wird aus dem Kindlein werden?
     
    Robert, dem ich heute von meinen Rostocker Archivplänen erzählte, sagte:«Bravo! Die sollen an unserm Namen ersticken! Hier’n Blumenkübel, da’ne Bank auf dem Unterwall.»
     
    24 Uhr
    Den ganzen Tag plappern die Nachrichtensprecher. Obwohl Gorbatschow doch schon in der Nacht zurückkam, hat man erst jetzt erfahren, daß in der Maschine der verhaftete KGB-Chef saß.
    Auch wie und wo die anderen verhaftet wurden, ist nicht zu erfahren.
    «Und so was interessiert einen doch!»
     
    Aus dem Notizbuch:
     
    17 Uhr.
    Gorbatschow sichtlich mitgenommen. Jelzin nutzt die Stunde, eigene Armee, Fahne.
    Kamera zeigt einen Rollschuhläufer mit Fahne auf dem Roten Platz.
    Truppen ziehen ab aus dem Baltikum.«Das haben sie nun davon. »Uralte Sympathien werden wach. Vielleicht, weil wir sie im Laufe der Geschichte drangsaliert haben nach Noten, die Balten, ist ein besonderes Mitgefühl für sie vorhanden. – Die blonden Esten. Ob die uns wenigstens mögen? Man sehnt sich so nach Sympathie.
    Aktienmarkt. Deutscher Index legt 4% zu, $ sinkt um 4 Pfennig.
    Putschisti!
    Nun wollen sie Gorbatschow abservieren. Randfigur soll er sein oder werden. Bednarz sagt, ihm seien Tränen gekommen, als Jelzin redete.
    Bessmertnych im Hintergrund, unangenehmer Typ, nickt zu Gorbatschows Worten, auf Flughafen.
    Großreinemachen habe bereits begonnen.
    Die Nacht mag eine Nacht Gorbatschows gewesen sein, der Tag war ein Tag Jelzins.
    Wenn man die Bio Jelzins kennt, zittert man davor, daß die jubelnden Massen enttäuscht werden.
    Alle Parteileute werden abserviert, die die Putschisten unterstützt haben.
    Jelzin habe den Massen die Streicheleinheiten verpaßt, auf die die Russen schon so lange warteten.
    Schewardnadse kritisiert, daß Gorbatschow nicht gekommen ist zu dieser Massensache.
    Zum Kummer der Kameraleute ist Jelzin überhaupt nicht zu sichten. Der ist wahrscheinlich besoffen.
    Es gebe Abenteurer, die Gorbatschow schwarzmalen wollen. Daß ein Mensch, der in einem Haus im Süden sitzt, die Fäden für einen Putsch in den Händen halten kann.
    Hildegard krault die Hunde wie so ein Orgelspieler mit Händen und Füßen.
    Gorbatschow habe die Leute geholt, die den Putsch gemacht haben. Das sei ihm vorzuwerfen.
    Japan oder China, diese Ecke (Bednarz).
    Gorbatschow, dunkler Anzug, mitgenommen. Bitteren Zug um den Mund. Die er

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