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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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vorgewagt.
    Eine Buchhändlerin, auch aus dem Westen:
    Also, ich finde das gut. Was ich nicht glaube: daß das ein Vorgang ist, der mit der linken Hand zu erledigen ist, wie unsere hohen Politiker sich das so gedacht haben (inzwischen sind sie wohl auch schon dahintergekommen). Daß die DDR zusammenbrechen würde, das ist von heute aus zu verstehen. Wer die Menschen so verachtet, wie das drüben geschehen ist … – Wir werden noch viel damit zu tun haben.
    Als die Grenze gefallen war, startete der Börsenverein der Buchhändler eine Aktion, West-Buchhandlung sollte Ost-Buchhandlung helfen. Da hab’ ich mich gemeldet, ein Buchhändler aus Greiz wollte Kontakt, weil er mit Computern und modernen Verkaufsmethoden nicht zurechtkam. Ich hab’ da hingeschrieben, der hat sich lange nicht gemeldet, weil er wohl was anderes zu tun hatte, aber dann doch. Und dann hab’ ich ihn eingeladen, und er ist auch gekommen, und er ist hier eine Woche lang hinter mir hergelaufen wie ein Hündchen. Hat mit verkauft usw. Da haben wir die Nacht zum Tage gemacht. Das war mir aber von vornherein klar gewesen. – Er wollte unbedingt einmal über die Grenze, nach Holland, ohne Grenzsperre, Kelle usw. Da ist ein Pfannkuchenhäuschen, wo es hundert verschiedene Pfannkuchen gibt, das war natürlich was für ihn.
    Eine Lehrerin/West:
    Mir ist es recht. Wenn die’s so wollten, finde ich das in Ordnung. Nach dem Putschversuch in der SU hab’ ich gedacht: Gott sei Dank, der Freund aus Greiz ist bei uns, da kann jetzt nichts mehr passieren.
    Freunde aus Leipzig waren schon mehrmals hier. Er hätte 1956 zu uns kommen können und hier eine Stellung kriegen, hat das damals abgelehnt, hat sich das immer wieder vorgeworfen.
    Ich hab’ ihnen dann den Herzenswunsch erfüllt, einmal nach Amsterdam und einmal in der Nordsee baden.«Das müßte verboten werden!»haben sie immer gesagt, das Rote-Lampen-Viertel in Amsterdam und in Seedeich die Rauschgiftsüchtigen:«Das müßte verboten werden!»Ich sag’, das ist eben die andere Seite der Freiheit. Daß das so schön sauber wär’ in Amsterdam, haben sie gesagt, ach, wie schön sauber! Ich sag’:«Aber hier liegt doch überall Müll herum …»Nein, sie meinten die Blumen und die Fassaden. – Sie sind die Superdeutschen, so denken sie.
    Ich hatte ein umfangreiches Kulturprogramm ausgearbeitet für sie, ein Riesenprogramm, Schloß, Museum usw. Aber die wollten ganz was anderes sehen, Supermarkt, Autowaschanlage, dafür konnten sie sich begeistern. Auch zum Gebrauchtwagenhändler sind wir gefahren, stundenlang, haben sich alle Preise notiert. – Mein Mann hat Wirtschaftswissenschaften studiert.«Geldumtausch 1:1, das ist nicht gut», hat er gesagt,«1:2 auch nicht.»Aber ich sag’:«Gönn ihnen das doch!»
    «Trompeten»: Das Verteidigungssystem der Menschen, nicht nur der Bunker, sondern auch, wie sie ihre Psyche, ihr kleines Seelchen schützen, zu schützen suchen.
     
    Den Intuitionen nachgeben – das zu demonstrieren stehen ja die Spielzeugburgen unten bei mir. Niemand versteht, was die da sollen.«Was sollen die Burgen? Haben Sie die selbst gebaut? »- Schon mein Vater hatte eine (siehe«Aus großer Zeit»!), Wasser konnte man in den Burggraben füllen. Die Reste wurden leider nach’45 zerhackt.
     
    «Trompeten»: Er übt den Flickflack, abends am Strand.
    Als Kind auf dem Nachhauseweg verprügelt worden.
    Etwas Flehentliches im Blick.
    Schwarzer Baumwollanzug, weil Joe Geffrey auch, und natürlich krempelte er die Jackenärmel.
    Nein, sympathisch war er nicht, Harry Templin, es gab nur wenige, die ihn mochten. Ein hastiger Pykniker, immer in Hast.
    An diesem Morgen erwachte er gestärkt, denn er hatte einen wundervollen Traum gehabt.
    Er bewohnte das Atelier eines Freundes, der schon vor zwei Jahren in die Staaten gegangen war und es Harry überlassen hatte, weil er immer noch schwankte, ob er nicht zurückkommen sollte. (Becks Atelier in Düsseldorf.)
    Manchmal kam ein Brief, darin wurde er aufgefordert, in der zweiten Schublade des Grafikregals nachzusehen und dort den Entwurf herauszuholen und zu senden, sogar 5 Dollar für Porto legte der Freund bei.
    Nein, Freundschaft war es nicht, es war Mitleid. Harry galt als armes Schwein, im allgemeinen.
    Harry Templin gehörte nicht zu den sympathischen Leuten. Wenige rötliche Haare, die er noch dazu mit einem fettigen Haarwasser in den Scheitel bürstete. Pickel.
    Wer mag von einem solchen Menschen hören.
    Still! Es gibt da einiges zu

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