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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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haben gedacht, alles, was die herstellen, ist nichts mehr wert, und da haben sie diese Dingerchen für 70 Pfennig hergegeben. Und da hab’ ich einen ganzen Haufen gekauft. Für die entsprechenden Modelle hätte man hier 5 Mark bezahlen müssen, sie waren allerdings nicht so detailliert wie unsere, und der Klebstoff war zu sehen. Ich hab’ dann auch manchmal einen Stand auf dem Flohmarkt und verkaufe von meinen Modellen welche, wenn ich sehe, daß ich zu viel habe, und da hab’ ich die Dingerchen von drüben mit 300% Verdienst an den Mann bringen können. Ich hab’ also auch teilgenommen an der Ausbeutung.
    Inzwischen hat das Interesse an den Modellen nachgelassen, sie sind nicht gut genug.
     
    Ein anderer Taxifahrer:
    Ich find’ das gut, aber die sind ja ganz unerfahren. Einer hatte sich in Düsseldorf mal verfranst und hat mich gebeten, ich soll vor ihm herfahren. Ich sag’ zu ihm, er soll sich doch lieber einen Stadtplan kaufen, der kostet nur 3 Mark 50. – Nein, das wollte er nicht, und er hat anstandslos 40 Mark bezahlt, dafür, daß ich ihn da hingelotst habe.
    Der Hausmeister in Haan:
    Ich bin ohne weiteres dafür, bloß was danach im Spiel ist, damit bin ich nicht einverstanden. – Regierungsmäßig ist das teilweise zum Kotzen. Hier erhöhen sie die Diäten, anstatt alles Geld nach drüben zu geben, wo es angebracht wäre. – Der Umzug nach Berlin ärgert mich auch. Das Geld hätte man sich für was anderes aufsparen können.
    Hier waren Leute aus Rostock, die haben hier eine Asbestsanierung vollzogen. Die kamen noch mit ihren alten Motorrädern, so schwarze Dinger mit Seitenwagen, hier angefahren. Die waren mächtig verärgert, die Versprechungen, die man denen gemacht hat, und nichts gehalten!
    Der Herr von der Kulturverwaltung sagte:
    Wir haben eine Partnerstadt drüben, und wenn ich da rüberfahre, dann muß ich viel Verständnis haben für alles. Das Unselbständige, das andere Denken. Wir leisten denen Verwaltungshilfe, und da kann man was erleben. Wir wollten ein Fest machen, und da kamen die mit 5,- Eintritt und dann drinnen auch alles noch bezahlen. Wir haben gesagt: den Eintritt mit Tombola koppeln und Schluß, 2 Mark. Und da kamen 5000, und wir haben guten Überschuß gehabt. Und da haben die gesagt: Au, das ging ja fein, da hätten wir ja gleich 4 Mark Eintritt nehmen können … Ich sag’: Da wär’ dann aber keiner gekommen. – Also, die einfachsten Dinge. Eine Blumenverkäuferin hat ihnen auch beigebracht, daß man die teuren Blumen in Augenhöhe stellen muß und die billigen am Fußboden. So kann man das ja mit allen Waren machen.«Das Teure müßt ihr in Augenhöhe hinstellen …», hat sie gesagt.
    Oh, und mit denen waren wir dann auch in Frankreich.«Alles so leger …»haben sie gesagt, das hat denen nicht gefallen:«Das ist ja schlimm!»Und die Franzosen haben gesagt: O Gott, das sind doch alles Kommunisten! – Ich sag’ zu denen: Nach dem Krieg waren hier doch auch 80% Nazis, und wir sind alle gute Demokraten geworden.
    Nein, jetzt jammern sie um das Geld, das die Wiedervereinigung kostet. Ich kann mich noch erinnern an die Zeit, wo wir die Knarre in die Hand genommen hätten, um die Wiedervereinigung herbeizuführen, und jetzt wollen sie nicht einmal Geld bezahlen.
    Man denkt auch manchmal: Wie wärst du geworden, wenn du drüben gelebt hättest und dir das 40 Jahre mit ansehen … Die zerfleischen sich selber.
    Ein Zuhörer, der vor Beginn der Lesung neben mir saß (leider schwerhörig), sagte:
    Über die Wiedervereinigung bin ich sehr erfreut. Ich habe es immer als unnatürlich empfunden, daß Deutschland nach dem Krieg geteilt worden ist. Ich bin in die DDR gefahren, als sie noch selbständig war, die Menschen mußten damals viel improvisieren. Die betrieben noch regulären Tauschhandel. Jeder legte sich einen Warenvorrat an, und wenn Bedarf vorlag, haben sie sich dafür was eingetauscht. – Die Parolen und Spruchbänder haben mich gestört, aber die haben sich gewundert, daß mich das gestört hat:«Wir sehen das gar nicht.»

Burbach Mo 14. Oktober 1991
     
    Heute nach Burbach, wo ich nicht vom Bahnhof abgeholt wurde. Ich war schon verärgert durch eine Zigeunersippe, die, obwohl andere Abteile frei, sich zu mir setzte, stank und schnatterte. Der Zugschaffner zeigte ihnen den schwierigen Weg zur 2. Klasse. Als er weg war, setzten sie sich wieder zu mir rein.
    Das Türken-Restaurant mit den freundlichen Kellnern, das ist die eine Seite, dies war die andere Seite der

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