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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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stellte sich heraus, daß sie eine hohe Funktionärin des FDGB war. Es gab ein Ärgernis, sie kam von der Charité und wollte nun auch mal ein deutsches Kreiskrankenhaus sehen und kam zurück wie zu Weihnachten, ein Riesensortiment von Medikamenten und irgendwelche Metallplatten, wovon sie die Hälfte liegenließ. Und dann hat sie gesagt, ich sollte ihr die mal vorbeibringen. Ich hab’ mich geärgert, ich hatte ja eigentlich jemand haben wollen, der noch nirgends gewesen war, und da gerieten wir an diese Ausbeuterin von der anderen Seite.
    Ingo von Münch im Warnow-Hotel, saß so, daß er das ganze Lokal überblicken konnte, wohnt dort schon seit Wochen. Ich begrüßte ihn kurz und bat ihn um Vermittlung eines Lehrauftrages an der Universität.
    «Die müßten ja stolz sein, daß Sie dort lesen. Die trauen sich nur nicht zu fragen …»
     
    Diettrich versprach, Depot für Kunstwerke der DDR-Zeit ausfindig zu machen.
     
    2007: Nie wieder was davon gehört. – Erst Jahre später hat Hildegard in Dresden ein Bild ausfindig gemacht: Architekt und Bauarbeiter machen Feierabend.
     
    Gespräch nach der Lesung: Prozeß Bachmeier, das Kind sei ein Luder gewesen und habe den an sich harmlosen Psychopathen erpreßt, wird gemutmaßt. Was einem so alles erzählt wird … Ich las vor 12 jungen Leuten. Nebenan wurde Tischtennis gespielt.

Greifswald Mi 23. Oktober 1991
     
    I952: Gründung des Deutschen Roten Kreuzes
der DDR
    Gestern gelesen in einem Studentenlokal, ziemlich voll. Schweigend hörte man mir zu, keine Diskussion. Rüther von der Adenauer-Stiftung sagte, daß sich niemand auf sein Angebot eines Stipendiums gemeldet habe. Das Studentenlokal eher der Keller einer Turnhalle.
    Ein paar ältere Damen nickten mir gütig zu.
    Keine Presse, außer einem eifrigen ehemaligen Pastor. Uwe Johnson ist hier der große Mann. Im Antiquariat ein ganzes Bord.
    Ein Fotograf:
    Ich bin mit dem Gedanken der Wiedervereinigung aufgewachsen: Deutsche an einen Tisch. – Bei der Konfirmation meiner Schwester saßen meine Eltern und die ganze Verwandtschaft an einem Tisch, und sie sagten: Wenn du mal konfirmiert wirst, dann haben wir längst die Wiedervereinigung. – Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben. Daß der Russe seine Panzer zurückzieht, das kam ja nie in Frage!
    Als dann die Revolution kam: Wir sind ein Volk!, da kriegte ich Angst. Das kam mir revanchistisch vor. Ich bin ja durch die sozialistische Schule gegangen, obwohl das Elternhaus anti war, ich fühlte die Lehren des Sozialismus bestätigt. – Na ja, ich sag’ heute, die Wiedervereinigung war gut. Selbst wenn jetzt viele Meckereien sind – es war richtig.
    Ein Pastor:
    Als der Putsch kam, die Leute, die vorher gemeckert haben, die waren plötzlich alle dafür.
    Eben Interview mit einem ehemaligen Pastor, der den Beruf gewechselt hat und nun Journalist ist. Er habe nicht mehr den Alleinunterhalter machen wollen und verdiene jetzt doppelt soviel. Er hatte für das Interview ein großes Kofferradio mitgebracht, das kleine Aufnahmegerät funktioniere nicht.
    Eine Berliner Familie, junge Frau, Mann, Opa und Oma, taten so, als kennten sie mich nicht. Von oben aus, aus dem Hotelfenster, beobachtete ich ihre Abfahrt, und da winkten sie zu meinem Fenster hoch.
     
    Autofahrt Greifswald – Stralsund, ein totes Reh lag an der Straße, als ob es schliefe. Normale West-Autofahrer und selbstmörderische Ossis. Ich hielt mich ganz rechts auf der ruinierten Straße, nach altem Rezept (M/B).
    Herrliches Wetter. Ich genoß den Anblick der Landschaft. Die Alleen. Vermutlich wird der ADAC alle Bäume abhacken lassen.
    Auch wir sind befreit worden.
    Ribnitz
    Jetzt in Ribnitz, Bernsteinmuseum. Café. Ich aß eine Bihunsuppe. Ein Wessi am Nebentisch fragte, ob das ein zweimal gekochtes Huhn sei?
     
    Bernsteinverarbeitung meistens kitschig. Eine Kogge aus zusammengesetztem Bernstein. Am schönsten die großen, nur eben geglätteten Stücke.
     
    Es hat keinen Sinn!
    Man möchte was mitnehmen!
     
    Peinlich der große Büchertisch, gestern, und niemand kaufte was. Mein Angebot zum Seminar nahm niemand an. Standen da, die Arme verschränkt, sahen die Bücher von oben an wie im Terrarium die Chamäleons.
     
    Herr Wulf von der Adenauer-Stiftung wollte wissen, was die violett erleuchteten Fenster in den Hochhäusern bedeuteten. Vielleicht hat er gedacht, das wären Puffs?
    Der Herr am Nebentisch guckt mich so eindringlich an, ich denke: Hoffentlich spricht er dich an! Aus Eitelkeit und wegen

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