Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
meiner WV-Befragung.«Es hat sich schon viel getan», meint er zu mir hin. Die West-Gattin, kunstbeflissen, klatscht ihrer Tochter auf den Schenkel, weil die so breitbeinig dasitzt, und legt ihr die Hand auf den Tisch: So wird’ s gemacht, man fummelt nicht mit der Hand unterm Tisch rum. Die Tochter guckt belustigt zu mir hin, was ich zu so was sage! – Kleiner junger Hund mit rotem Halstuch. Tochter spricht in Babysprache mit ihm.
Vater zu ihr:«Laß das! Du weißt, daß uns das auf den Keks geht.»
Er nennt seine Frau«Trümmerfrau».
Ich bin überall zu Hause, wo man mich liest.
Warnemünde
Hotel«Neptun», also zu Hause. 16 Uhr.
Die Bierflaschenaktion habe ich hinter mir. Unangenehm! Was damals originell mit Beschiß-Zusatz war, neigte sich nun doch sehr zum Beschiß. Er wollte mir sozialistische Bilder andrehen, aber es waren natürlich Drucke.
Die«Trinkhallen»früher. Mit Türmchen.«Fliegerbier»gab es vor dem Krieg. Das war’ne alkoholfreie Sache.
Hab’ einen schönen Platz, sehe über den Hafen und die halbe Ostsee bis vielleicht Zingst?
«Rosenort», was für ein schöner Name.
Der Mond, voll, weiß wie Wolke.
Gewaltiger Umweg ab Ribnitz, sämtliche Straßen werden hier aufgerissen und neu gemacht. Ich fuhr dann über Markgrafenheide, Fähre zu P., der mich schon erwartete. Seine Frau hat die schönsten Stücke vorher aussortiert, und die Plakate, die er mir anbot, waren nachgedruckt, ich habe sie natürlich zurückgewiesen. Ein kleiner Kasten mit Schlüsseln, die er leider mit Rost-Ex behandelt hat. Holzbutterformen, Holzlöffel. Zwei Holzkummen. Beim Steinzeug (Kummen und Maße) bin ich mir nicht sicher, ob die Sachen wirklich alt sind. Alles in allem 2200,-. Reichlich. Habe das«ungute Gefühl», ausgenommen worden zu sein.
Bei Bildhauer Dietrich ließ ich mich verleiten, einen nackten Jüngling für den Garten zu kaufen, aus Ton, etwas beschädigt. Er wird das Zentnerstück zu uns nach Nartum bringen. Wenn ich morgen nach Hause komme, ist es schon da. Sozialistischer Realismus ein wenig, aber in mildester Form, oder besser: versteckt, von innen heraus. Im Grunde verlogen! Aber für unseren Garten gerade richtig, wir müssen etwas haben, worauf wir mit Fingern zeigen können. Ich bezahlte für den beschädigten Jüngling 3000,- und für eine kleine Bronze, eine Frau, die Hühner füttert, 2000,-. Gegen Quittung, das macht die Sache erträglich. Der muß sehr gut verdient haben, aber er kann auf seinem Gebiet natürlich auch was, er hat Stil, wenn auch einen sozialistischen.
2007: Inzwischen haben wir auch das Mädchen gekauft: Adam und Eva.
In Ribnitz sah ich mir flüchtig das Bernsteinmuseum an. Einschlüsse hübsch präsentiert unter Vergrößerungsglas. Wie in Tucson die Edelsteine aus der Wüste. – Ein Floh!
Jetzt färbt sich der Mond gelb.«Seht den Mond groß im Osten …»
Ich fragte den Herrn von der Adenauer-Stiftung, wieso er sich erst jetzt an mich erinnert. All die Jahre hatte dieses liberale Institut keinen Blick für mich. Ja, sagt er, das versteht er auch nicht. Das Kriechen hat den Bürgern nichts genützt, die Sache ist ohne ihr Zutun zusammengekracht.
Rostock ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes.
2007: Ich höre von den Adenauer-Leuten nichts mehr. Den Preis gekriegt, dafür angemeckert worden – aus. Ich sah die Liste durch, wen die alles einladen! An mir führen Schlangenlinien vorbei.
P. zog sich einen grünen Lagerkittel an, als er da mit mir herumwurschtelte. Er bot mir an, in Nartum Bäume zu beschneiden, die Schere könne er mitbringen.
Ich war stolz, daß mir die Straßenabkürzung über Markgrafenheide eingefallen ist und daß das auch funktionierte. Vor dem Krieg Endstation langer Familienausflüge.
Die Phantasie hat zu tun, wenn man durch die halbzerstörten, heruntergekommenen Städte bummelt. In Greifswald ein schöner alter Speicher.
Die Fähren halten hier direkt am Bahnhof.
Neubukow 19 Uhr.
Stockfinster, ich taste mich durch die Gegend. Ohne Abendbrot. Schrecklicher Blödsinn. Warum macht man auch so was? Beim Veranstalter kriegte ich ein Butterbrot.
Die Zuhörer saßen an im Geviert aufgestellten Tischen. Keine Bewegung.
Zahnschmerzen.
In der Nacht fuhr ich noch nach Hause.
Nartum Fr 25. Oktober 1991
Daß Sartre alle Antikommunisten als«Hunde»bezeichnete, hat die Linke nicht gestört, sie monierten Ludwig Erhards«Pinscher», was doch vergleichsweise liebevoller klingt.
Raddatz wollte sogar
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