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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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dauernd was auf den Deckel.
     
    Rache? Soll ich mich an mir selbst rächen?
     
    Korrekturen der letzten Stunde, an M/B ist immer noch zu arbeiten. Diese letzten Korrekturen sind die interessantesten.
    13 Uhr.
    «Viertel zwei»werde ich abgeholt zu den Bibliotheksschülern. Ich kämmte mich, und als ich in den Spiegel sah, dachte ich: Wie merkwürdig, aber auch hilfreich wäre es, wenn du für jeden Preis einen Orden bekommen hättest und nun, mit den Orden angetan, vor die Jugend trätest: wie ein Sowjetgeneral.
    Nach der Lesung wurde ich, der Gast, in der«Diskussion»«angemacht». Am Ausgang stoppte mich eine Bibliotheksschülerin und entschuldigte sich für die frechen Zwischenrufe. Ich ging einfach davon.
     
    Ich kaufte im Antiquariat drei Kinderbücher und (sehr preiswert) drei Sprachlexika, alte blaue Langenscheidt-Ausgaben. Ich hätte auch ein deutsch-vietnamesisches bekommen können.
    Witt ist Spezialist für Jiddisch. Es gibt ein jiddisch-deutsches Lexikon, da ist das Jiddische aber in hebräischen Schriftzeichen gedruckt. Schade. Irre.«Deitsch», das bedeutet u. a.«obere Gesellschaft», höhere Klasse.
     
Blimeläch

Blume
a Fengele oder a Feegele

Vogel
Gase

Garten
Ich kumm oder ich kimm
Maidel oder Medele!

Mädel
     
     
     
    Kant und Wolf direkt neben der Nikolaikirche im Schaufenster einer Buchhandlung. Lenz und Johnson im Innern. Von Kempowski keine Spur. Acht Jahre Bautzen? Das interessiert hier niemanden, ganz im Gegenteil, das ist ihnen suspekt. Warum? will man da wissen. Ich verweise auf meine Bücher.
     
    Die Bibliotheksschülerinnen waren in einer Weise biestig, daß man glaubte, man hört nicht richtig. Das eine Mädchen, das sich entschuldigte … Dem Direktor war das peinlich, er geriet in höchste Nöte.
     
    «Keine Macht für Niemand»: In Leipzig an der Wand.
     
    Schnecken
    «Man muß es mal essen, delikat! Ich hab’ auch immer gedacht, igitt oder was, aber man muß das mal machen, die essen. Nicht, daß ich Sie hier überreden will, nein, von mir aus können Sie essen, was Sie wollen, aber machen Sie das mal. Sie werden sich wundern!»
     
    2007: «Die Fantome des Hutmachers»(Chabrol).
     
    «Andererseits, die Bananen, die Sie hier so kriegen, die würde bei uns drüben kein Mensch essen. Wirklich, können Sie mir glauben.»
     
    «Ich als normaler Autobahnbenutzer, ich seh’ das ja schon, was die alten Maschinen hier jetzt erschaffen, als wenn sie’n Rekord aufstellen wollen.»
     
    «Ich esse zu Haus Marmelade, jeden Morgen, weil mir das schmeckt. Ich könnt’ ja auch Wurst essen oder Schinken, aber ich ess’ eben Marmelade. Klar? Und da hatten wir neulich einen Besuch aus Gera. Und der sagt doch, beim Kaffee, ob er nicht Wurst kriegen kann. Das muß man sich mal vorstellen! Ich mein’, wenn irgendwo eingeladen, und da steht Marmelade auf’m Tisch, dann sag’ ich doch nicht, ich will Wurst haben. Klar?»
     
    «Salat is included», sagt der Kellner. Auch der Glassplitter, den ich darin fand, war included.
     
    «Eigenartig, der Zusammenbruch der DDR, es hat doch Zeiten gegeben, nach dem Krieg, in denen es viel schlimmer war. Aber plötzlich wurde es den Leuten zuviel.»
    Sechs Zuhörer.
    In der Buchhandlung. Kein einziges Buch von mir auf den Tischen. Aber die Buchhändlerin verkaufte mir ein Stalin-Buch von Erich Weinert:«Lieder um Stalin», 1949.
    «Ich weiß schon, was Sie haben wollen», sagte sie.
    Vier Namen donnern strahlendes Geviert,
die unsre Nacht mit ihrem Licht berührt:
Marx, Engels, Lenin und ihr Erbe, du.
Ihr seid das Sternbild, das den Wandrer führt …
(S. 79)
    Aus dem Kasachischen.
    1949 saß ich in Bautzen in der Zelle, W 18. Damals repetierten Robert und ich die Familiengeschichte.
     
    Leipzig: Ich denke immer, ich bin in Warschau, wundere mich, daß die Leute hier deutsch sprechen.
     
    Noch zum Eklat in der Bibliotheksschule: Ich hatte noch nicht gegessen und hatte mir einen Beutel Chips mitgebracht (14 Uhr) und aß nebenher, las und diskutierte. Die übliche Verwechslung, man warf mir Deutschtümelei vor, verwechselte also – eine alte Geschichte – Shakespeare mit Richard III. Und dann kam’s, ich sagte, es würde mich schon interessieren, ob Bundestagsabgeordnete, westliche, für die Stasi gearbeitet hätten, und in diesem Zusammenhang meinte ich, ob hier in den Parlamenten welche säßen, Stasi-Leute, interessierte mich nicht so sehr. Gejohle! Ich interessierte mich nicht für dieses Land? Nun, aus allem, was ich gesagt

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