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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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mit Silbis Hochzeit an. Ganz geschickt, aber weglassen, das hätte ich auch gekonnt.

Nartum Do 14. Februar 1991, Schnee
     
    Drehbucharbeit«Zeit»beendet. Es ging ziemlich flott, einiges, mir Liebes, konnte gerettet werden. Leider wurden in Zwischengesprächen immer wieder DDR-Gehässigkeiten deutlich. Ich verzichtete darauf, ihnen was von Bautzen zu erzählen.
    Im TV (N3) wurde gezeigt, wie in Bagdad verschmorte Menschen aus Bunker herausgetragen wurden. Gelbe Knochen spießten heraus.
    Gestern waren wir (die Herren Nehring, Warneke und ich) in Bremen, bei Klostermeier, dem Intendanten von Radio Bremen, und seiner gattinnenhaften Frau. Momper nannte mich«Kempi», sagte mir allerhand Artigkeiten.

     
    Albumeintrag Walter Momper
    Der genesene Hädrich«zutunlich». Er nimmt immer seinen Hund mit, und wenn’s nach Luxemburg zum Großherzog geht (zu dem er irgendwelche Verbindungen hat). – Der Trainer Rehhagel war zu besichtigen. – Gummibrot und ungenießbarer Fisch (roh!). Vom Körnerbrot taten mir die ganze Nacht die Zähne weh. Aber nett alles in allem. Und wann wird man schon mal eingeladen.
    Nehring total angepaßt, sammelte eiskalt das, was er für Verbindungen hält. Warneke stand schüchtern/verbittert in der Ecke. Ich mußte ihn hin- und herschleppen. Er wirkt wie ein Schrat, ist aber umgänglich und klug.
    An Sensibilität mangelte es heute abend, als ich den Filmleuten zum Abschluß«Die Toten»von Huston als meinen Lieblingsfilm vorstellte.«Tschechow», war der einzige Kommentar.
    Hildegard nahm an der Arbeit teil, Simone verzichtete auf die Chance. Sie hat mit den laufenden«Echolot»-Arbeiten zu tun, entlastet mich spürbar. Alles klappt gut, keine Beanstandungen.
    Während der Arbeit beobachtete ich Hacky und unsere Hunde, wie sie vorm Haus im Schnee tobten. Ich habe noch nie im Schnee rumgetobt.
    Ein einzelner Reiher landete 100 Meter vor ihnen, ohne daß sie ihn sahen.
    Immer noch«Sirius»-Post.
    Morgen beginne ich mit M/B. Notizen bereitgelegt.
    «Sirius»seit Weihnachten nicht mehr lieferbar. Erst am 15. 2. wieder. Skandal.
     
    Vor dem Rathaus in Bremen sahen wir gegen Mitternacht eine sogenannte«Mahnwache». Vier oder fünf junge Leute mit Hund um ein Feuer aus Brettern. Der Geruch des brennenden Holzes mitten in Bremen auf dem Rathausplatz hatte etwas Mittelalterliches.
    Die Linke ist der Ansicht, durch Kriege seien noch nie Probleme gelöst worden. – Und der 2. Weltkrieg? Ich erinnere mich, daß uns die Alliierten befreit haben. – Daß auch neue Probleme entstehen, ist eine Binsenweisheit. Die entstehen auch ohne Kriege, denn die Bösewichter oder/und Menschheitsbeglücker sterben nicht aus.
    Auf der Klostermeier-Party wurde ausgerechnet dem verschüchterten Herrn Warneke ein Glas Wein auf die Hose geschüttet, und beim Aufbruch fegte er mit seinem Mantel einen Aschenbecher mit Stecknadeln vom Garderobentisch.
    Eine Mecklenburgerin sagte zur Wiedervereinigung:
    Ich meine, was Besseres konnte uns gar nicht passieren. Trotzdem es ein Wunder ist. – Obwohl ich gehofft habe – geglaubt habe ich nie daran. Man sagt immer: Was der Russe hat, gibt er nie wieder her.

Nartum Fr 15. Februar 1991, Schnee
     
    I958: Gründung des CIMEA – Internationales Komitee
der Kinder- und Jugendbewegung beim Weltbund der
Demokratischen Jugend (WBDJ)
    Schluß des Semesters.
    Warneke und Hauser erzählten allerhand aus der DDR-GESCHICHTE. Aber so richtig will sich keine Übertragung ihrer Erfahrungen einstellen. Einerseits die Verhohnepiepelung Ulbrichts und Genossen – sie erzählen Witze -, andererseits ein Festhalten an den alten Zuständen, die sie dann aber trotzdem auch kritisieren.
    Diesen Gegensatz Ost – West wird Deutschland noch 100 Jahre spüren. So wie in den USA, die Nord- und Südstaaten, auch immer noch. Die kluge Politik von Lincolns Nachfolger, der nach dem Bürgerkrieg ein allgemeines Schwammdrüber praktizierte. Larmoyanz, Überbetonung abseitiger Erfahrung, das erschwert ihnen da drüben den Neuanfang. Eine lange Geschichte von einem Seidenhemd. Und: die Hetzreden gegen den Westen, die wohl gegen mich gerichtet sind, weil wir’s hier so schön haben. Ich kontere dann immer mit Bautzen. Aber das sind wohl Auskotzungen gewesen, die ihnen schon lange auf dem Magen lagen.
     
    TV: Film vom ruinierten Kuwait.
    Herausgerissene Klimaanlage. Die Iraker transportieren offenbar aus den Häusern sogar die Möbel ab. Wie die Russen’45.
    Die nahmen ja auch die Türdrücker mit. Sogar das,

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