Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

man nichts mehr.
     
    23.30 Uhr. – Nun hat es doch noch ein wenig geschneit. Eine hauchdünne Schneedecke liegt auf dem steinharten Boden, wie das so ist bei uns.
    Ein sowjetischer Pilot, der mit einer sowjetischen Maschine deutsche Raketenwerfer in den Golf fliegen soll, weigert sich, er fliegt nicht in Krisenregionen.

Nartum So 10. Februar 1991, eine dümmliche Schneedecke/windstill
     
    I898: Bertolt Brecht geboren
    Litauen 91% für Selbständigkeit. Mich wundert, daß überhaupt welche dagegen sind. Das sind wohl Leute, die von den Russen bevorteilt wurden. Oder naturalisierte Russen. Oder Parteileute.
     
    Meine Schwester Ulla war auf ihre Weise auch ein Biograph. Sie hat fotografiert! Auf diese Idee wäre ich nicht gekommen, war damals auch noch zu jung für so was. Sie hatte eine Agfa-Box, die man bekam, wenn man vier Markstücke mit dem Prägezeichen AGFA vorweisen konnte. Leider ließ sie die Negative alle in Rostock, als sie nach Dänemark ging. Die sind alle futsch.
     
    Das Leid der Katzen. Sie werden nachts ausgesperrt und kommen morgens an meine Fenster. Krallen sich daran fest und miauen. Sie wissen genau, von wannen ihnen Hülfe kommt.
     
    Immer sagen die Großkritiker: Andersch, ja, seine«Kirschen der Freiheit», das war ein epochales, großartiges Buch! – Ich bin anderer Ansicht. Ein Büchlein mit blödem Titel. Magerkost. Und jeder, der es jetzt liest, wird mir beipflichten. Sie haben es damals gelesen, und sie lieben die Zeit, in der sie es gelesen haben, die Jugendzeit. Andersch ist überhaupt so ein Kapitel, läßt sich mit Pfeife fotografieren! – Sein Verdienst: Er hat Arno Schmidt gefördert.
    Er hat übrigens nie einen Literaturpreis bekommen und ist kein Mitglied einer Akademie. Das sind so deutsche Wunder. Schnee: Lesebuchdeutsch:«Der Schnee hatte den Zaunpfählen weiße Mützen aufgesetzt.»
    Eine Laune der Natur.
    Brandenburger Konzert Nr. 6, letzter Satz. Von den Tafelklavieren wollen sie nicht lassen, unsere Puristen. Unerträglich. In 3Sat der Sohn Rosenthals, der über seinen«Dalli-Dalli»-Vater berichten soll. Ein Knäblein, ganz unbedarft. Ich dachte an KF, ob sie den wohl später auch mal befragen? Ich erinnerte mich auch an meinen eigenen Auftritt bei Rosenthal, mit Lieffen zusammen. Wir sollten die in Holz nachgebildeten Schreibmaschinentypen um die Wette in richtiger Reihenfolge aufstellen. Dalli-Dalli! Lieffen fing mit den Zahlen an, sehr schlau, und so gewannen wir. Am nächsten Tag überreichte mir die Elternsprecherin in der Schule einen Blumenstrauß!
    Rosenthal: seine großen, schreckhaft geöffneten Augen. In einer Schrebergartenlaube hat er sich vor den Nazis verbergen müssen, unterm Sofa hat er gelegen. Was sind dagegen unsere Wehwehchen?
     
    Nächste Woche die Filmleute wegen«Aus großer Zeit», dann geht’s mit M/B 2 weiter.
     
    Zur Wahl in Litauen, Gorbatschow sagt, das interessiert ihn nicht. Ein paar frierende Ordner auf dem Markt. Wenn das man gutgeht!
    Bericht über die Täuschungsmanöver Saddams: Aufblasbare Panzer, mit kleinem Ölofen als Motorimitation. Vortäuschen bereits bombardierter Startbahnen.
    Seine Großraketen scheinen nun bald«alle»zu sein. Was er dann wohl noch an Überraschungen zu bieten hat, der Vater der Schlachten?
    Gegen unsere Friedensdemonstranten stehen im Nahen Osten Hunderttausende von Demonstranten, die für den Krieg sind. Saddam spricht nun schon vom Endsieg.
     
    2007: Aus einem Erdloch zogen sie ihn, und unter die Schlinge um den bloßen Hals legten sie ein schwarzes Tuch.

Nartum Mo 11. Februar 1991
     
    Tag der Zivilverteidigung
    Alte T52-Panzer wurden gestern als«Arbeitspferde»der irakischen Armee bezeichnet.
    Der Miesmuschelesser Grass hat sich zu Wort gemeldet. Es sei doch ungeheuerlich, daß die Deutschen nun zum zweiten Mal mit Gas … Ja, es geschieht viel Ungeheuerliches in der Welt. Was – wer – wie – wo gesagt hat, müßte man auch mal auflisten.
     
    Die Moderatorin von«Bremen aktuell»wies heute früh darauf hin, daß nun auch die SU zu einer Friedensvermittlung ansetze. In Washington werde der Zeitpunkt der Landoffensive festgelegt. Alles andere bis jetzt sei nur das Vorspiel. Was die wohl für große Landkarten haben. Und bestimmt haben sie auch kleine Spielzeugpanzer, mit denen sie darauf herumfahren, und die sind nicht aufblasbar.
    «Albanien galt jahrelang als der finsterste Hort des Stalinismus, was immer das auch bedeuten mag», sagt eine Kommentatorin in Bremen. Nun, für eine