Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Kommentatorin ein bißchen unterbelichtet oder bekloppt. Wir wissen schon, was wir uns darunter vorzustellen haben: Gefängnisse, in denen Menschen 20 Jahre lang saßen.
Die russischen Juden fielen jetzt wie Heuschreckenschwärme in Israel ein, sagt ein Professor, und das verstünden die Araber nicht. Das wiederum kann ich verstehen. Ich würde auch nicht in Rußland bleiben.
Wegen der Verfilmung von«Aus großer Zeit»kamen am Nachmittag drei Herren aus Berlin zum Groß-Dichter nach Klein-Nartum. Ich habe am Vormittag noch das neue Drehbuch angesehen. Die Anlage des Films, auf die«große Zeit»hin, ist geschickt arrangiert.
Ich meine, der Film müßte s/w gedreht werden, zunächst ohne Geräusch, Ton. Das Lied«Wie sie so sanft ruh’n»als Leitmotiv.
Technisches erfragen, ob Stummfilme nachgemacht werden können.
Kann man Filme künstlich ruinieren? Regen?
Entweder Lackbildfilm oder«alt». – Fechner wollte die«Zeit»als Stummfilm verfilmen, aber dann ließ er ab von mir. Er hatte von Kempowski die Nase voll. Er machte dann lieber«Winterspelt»von Andersch.
Saddam Hussein: Endkriegproklamation. Hilferuf an die Moslems aller Länder. Die werden ihm was husten. Die Mutter aller Schlachten wird sich wohl auf sich selbst besinnen müssen.
Nartum Di 12. Februar 1991, Schnee
1947:«Junge Welt»erscheint zum erstenmal.
Gestern war Schluß in Oldenburg. Ich sprach über den Schönschreibunterricht. Das Anachronistische dieses Themas war zum Schreien komisch. Von Kalligraphie nie was gehört. Über den Nahen Osten sprechen, aber wenn man ihnen deren Schriften zeigt, lachen sie sich tot: Was das soll?
2007: Ob diese Kinder den Film«Der Name der Rose»gesehen haben?
Peters kam zum Trinken und schwärmte von der Chronik. Er ist inzwischen«natürlich»in Rostock gewesen und hat sich alles angesehen. Ästhetik sei für die Bürger nur quantitativ erlebbar, die Marienkirche bezeichnete er als einen«Dubass».
2007: Nie wieder was von ihm gehört.
Hier sind inzwischen drei aufgeregte Herren aus der DDR erschienen, sie wollen mit mir das Drehbuch von«Zeit»beraten. Unter ihnen der bekannte Regisseur Warneke und Hauser, der Drehbuchschreiber. Auch ein guter Mann. Sie kamen schon gestern, ich mußte ja nach Oldenburg, und Hildegard hatte es schwer mit ihnen. Die Wehmut schwappte über. Sie haben unvorsichtigerweise in Klein-Machnow Häuser auf gepachtetem Grund gebaut, und den Grund wollen irgendwelche West-Leute nun wiederhaben:«Das Haus brauchen wir nicht, das können Sie ruhig abreißen.»- Geballte Wut. Man wird zurechtkommen müssen mit ihnen. Die drei Herren sind von einer untergründigen Aggressivität gegen uns, und wir haben ihnen doch gar nichts getan.
Wie gut, daß ich im Knast gesessen habe. Das ist mein Prä. Dagegen kommen sie nicht an.
Abends. – Die Zusammenarbeit mit Hauser, Warneke und Nehring klappt ganz gut, kollegial, nicht brachial, wie bei oder mit Fechner damals. Aber: Abwarten, es ist ja noch gar nicht losgegangen.
TV: Saddam H. wurde gezeigt mit Verband um den kleinen Finger!
Kronzucker sprach über Saddams Bunker,«die Unterwelt, in die nach der Meinung gewisser Leute S. H. auch gehört». – Wohin denn sonst?
«Gewisse Leute», wen meint er damit?
Assoziation zu Ceauçescus letzten Tagen. Der hatte 40 Paläste. Es ist wunderlich zu hören, daß«die irakische Luftabwehr schweigt». Prügel beziehen. Abgesehen vom Anlaß – widerlich.
Ein blondes Mädchen mit Schäferhund sucht nach Überlebenden. Der Schäferhund hat Judenstern auf dem Rücken.
Alter Afrikafilm: widerwärtige Aufnahme eines stöhnenden Nashorns, dem man das Horn abgesägt hat. Ekelhaft. Die lachenden Schwarzen, der triumphierende weiße Jäger.
Zwei Warneke-Filme gesehen.«Die Einfärbung in der Wolle». Beide Filme waren gut, aber fremd.
Ich kam drüberzu, wie sie im Turm Hildegard einheizten, wie böse die Westdeutschen sind und wie herrlich die DDR war. Als ich eintrat, verstummten sie sofort. Wenn sie weitergemacht hätten, hätte ich sie rausgeschmissen.
DDR schmort, die Zahl der Arbeitslosen steigt. Bald gibt es in Deutschland mehr Arbeitslose als zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise.
Island hat Litauen anerkannt. Immerhinque, möchte man da sagen.
Warschauer Pakt wird aufgelöst! Wo sie wohl mit all den Panzern bleiben?
Nartum Mi 13. Februar 1991
1945: Angloamerikanischer Luftangriff
auf Dresden
Hausers Drehbuch: Er läßt die Hälfte weg und fängt
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