Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
so kommt es mir wenigstens vor. Ein Aufstand wurde vorbereitet, ich entzog mich der Sache. Stand lange am Tor, das, grün bewachsen, offenstand.
Gestern rief Raddatz an, ich sprach lange freundlich mit ihm. Er sagte, Grass habe gerade mit einem neuen Roman angefangen.
Ich auch, was er mit einem«so, so»zur Kenntnis nahm.
Hildegard und ich registrierten die Antiquitäten ihres Zimmers und des Büchergangs. Alles wird fotografiert, Preis hinten drauf.
Morgenandacht in Bremen:
Zu Hause – das ist eine ganze Menge.
Meine Gedanken eilten für Momente um zig Jahre zurück … Etwas weiter sah ich einen weißen Schopf…
Hier in meiner Stadt bin ich warm und vertraut.
Ich sitze gelassen in meiner Gegenwart und schaue gelassen nach vorn und nach hinten.
In der Straße sehe ich keine Gesichter, die mir eine Geschichte signalisieren. (Aus der Morgenandacht, es sprach Gisela Arndt-Quentin, Bremen.)
SU (Referendum), Albanien, Jugoslawien. Saddam Hussein schießt jetzt seine eigenen Leute zusammen.
«Er gilt als Drahtzieher»(Nachrichten).
Gebietsweise Nebel.
Gestern abend schöner Film von Walser, mit Bruno Ganz und Marianne Hoppe.«Tassilo».
Nartum Di 19. März 1991, Regen
1937: Egon Krenz geboren
Gestern las ich in Hamburg, in der Akademie, probeweise aus M/B. Es war übervoll, etliche mußten nach Hause geschickt werden. Hinterher erhielt ich Ovationen! – Mehrere Leute kamen mit Plastiktaschen, in denen sie tatsächlich alle meine Bücher hatten. – Der französische Verkäufer von Steinway bedankte sich für die Nennung in«Sirius».
Vorher mit Robert im Alten Rathaus gegessen. Über das Haus gesprochen. Die Treuhand habe quergeschossen, nun aber sei alles klar. Wer den Wiederaufbau bezahlen soll, weiß er auch nicht.«Das kriegen wir schon.»Immerhin war er so realistisch zu sagen:«Dann verkaufen wir eben.»
Vorher auch in verschiedenen Antiquariaten, ich suchte für das«Echolot»Karten von Rußland, die leider, selbst bei Götze, nicht vorhanden waren. Sie bestellen in der SU, und die antworten nicht einmal.
Ein Zuhörer legte mir ein Buch vor, das von Betyna 4 stammt (signiert von mir). Er habe es im Dammtor-Antiquariat gefunden. Dort stünden noch mehr Bücher, die ich Betyna gewidmet habe. Warum hat er sie weggegeben?
Jugoslawien«fällt auseinander». Offensichtlich haben sich nun auch die serbischen Antikommunisten gemeldet. In SU streiken ein Viertel der Bergarbeiter.
Mutter J. geht’s schlecht, sie redet irre, liegt im Bett, sieht einen kahlköpfigen Mann, der ihr zuwinkt.
Im TV guter englischer Krimi (N3).
Was die Wiedervereinigung bedeutet, spürt man bei den Verkehrsnachrichten.
Nartum Mi 20. März 1991
Ich bin es, der das Leiden der Katzen aushalten muß.
Sie werden abends ausgesperrt, und wo auch immer ich mich zeige, springen sie ans Fenster und sehen mich vorwurfsvoll und flehend an.
KF hat nun den«Sirius»begonnen. Er sagt, er kommt schwer rein, aber wenn er«drin»ist, lacht er sich tot, oder er muß weinen. Das hätte er ja alles nicht geahnt.
M/B = 8. Kapitel begonnen.
Nartum Do 21. März 1991
Internationaler Tag für die Beseitigung der Rassendiskriminierung
Mit Schwefelsäure geht Saddam gegen seine Untertanen vor.
Nartum So 24. März 1991
Ein Herr Schmilgun war hier wegen einer Radiosendung. Er fragte mich, ob ich ein ungeduldiger Mensch sei. Möchte wissen, was den das angeht.
In Rostock gestern eine Talk-Sache, die auch ganz gut lief, bis einer der Moderatoren mich in meinen Bautzen-Bericht hinein fragte (mit herausforderndem Blick), ob wir nicht ein Haus hätten in Rostock und ob wir es zurückhaben wollten. Als ob das ein Verbrechen wär’. War wütend!
In Rostock habe ich eine Rostocker Flaschensammlung gekauft. Der Mann wohnt in dem bedrohlichen Neubauviertel Lütten Klein. Frau korpulent, in Kittelschürze.
Gottlob war Hildegard mit.
Ich ging allein kreuz und quer durch die Straßen vorm Kröpeliner Tor. Die Heiliggeistkirche. Alte Geschichten. Die Mittelschülerinnen. An den Häusern noch verwaschene Inschriften von vor dem Krieg. Alles in saumäßigem Zustand. Die ungepflegten Vorgärten haben nichts zu tun mit dem Verfall der DDR.
Wer Sinn für Groteskes hat, muß jetzt TV-Talk-Shows ansehen. Ich habe nicht die Kraft, mir diesen Ost-West-Quatsch anzutun. Hörte im«Talk im Turm»eine Schauspielerin von drüben, sie behauptet, wir machten jetzt Krieg gegen sie! Ein Bündnis-90-Mensch fordert einen Sternmarsch nach
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