Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Bonn.
Also, wir leben als Verrückte unter Verrückten.
Ruhige Stunden mit Hildegard in Rostock. Sie zählte die Stockwerke unseres Hauses in der Strandstraße.«Mann-o-Mann!»Ich stieg die Treppen hoch, in der Ruine. Im dritten Stock: schöner Blick auf Marienkirche.
Ängste!
«Echolot»
München-Rede
«M/B»
Oldenburg
Zerrissen vor Zeitmangel.
Arno-Schmidt-Lesung in Bremen. Mir fiel in der Nacht ein, daß ich auch dafür eine Einführung sprechen sollte. All solche Sachen.
Verliere die Übersicht allmählich.
Angst!
Arno Schmidt ist einer meiner Lieblingsautoren. Das hat verschiedene Gründe. Der wichtigste: Er stellt Krieg und Nachkriegszeit ungewohnt unsentimental undeutsch dar. Seine Faktenbesessenheit und seine Schnappschußtechnik haben mich zunächst nur interessiert, dann begeistert und schließlich süchtig gemacht. Hinzu kommt, daß ich als Norddeutscher mich in seiner literarischen Landschaft wohl fühle, die durch ihn ihrer Bekanntheit fremd wird und daher wieder ganz neu. Vielleicht hängt die Anhänglichkeit damit zusammen, daß ich mich ihm, dem naiven Besserwisser und Schimpfer, immer etwas überlegen fühle, ihn aber gleichzeitig wegen seiner Belesenheit bewundere. Er läßt mich gleichberechtigt an seiner Arbeit teilnehmen, und das schmeichelt mir. Die deutsche Literatur hat in Arno Schmidt eine wertvolle, wunderlich fremdartige Potenz vorzuweisen, weshalb ihn denn auch die deutschen Leser nicht annehmen, ein Schicksal, das er mit Christian Morgenstern und Robert Walser teilt. In der Hoffnung, daß sich dies nicht ändert, sondern daß er ein von Studienräten weitgehend verschonter Geheimtip bleibt, möchte ich hier quasi«beiseite»den Anfang von«Brand’s Haide»lesen.
Eine Frau in der Kantine:
Als ich zum erstenmal nach Mecklenburg fuhr, war ich erstaunt, daß die Leute dort relativ gut hochdeutsch sprechen. Ich hatte gedacht, die sprechen drüben alle mehr oder weniger sächsisch.
TV: Schlimme Bilder von Schleppnetzen in Korallenriffen, die alles Leben töten. Strangulierte Seehunde. Ekelhaft. So was zeigen sie uns im Fernsehen mit Vorliebe. Wir können das doch nicht ändern, uns brauchen sie nicht aufzuklären.
Peter Schreier gibt auf die Frage, was er sein möchte, an: manchmal eine Frau (FAZ).
«Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden, doch solchen Trieb hab ich noch nie empfunden.»(Goethe)
Nartum Mo 25. März 1991, kalt
Der Tag begann katastrophal. Die Handwerker kamen, und ich mußte Möbel schleppen. Im Laufe des Vormittags fing ich mich, und am Nachmittag konnte ich noch gut arbeiten.
M/B: Tippte das 8. Kapitel, das nun noch angereichert werden muß mit den Notizen von damals.
Auch mit dem«Echolot»geht es voran, der 7. Januar konnte abgeschlossen werden.
In Leipzig demonstrieren sie wieder, diesmal aber gegen den Westen, aufgehetzt von den Gewerkschaften. Widerlich, weil das Verhältnis von West und Ost vergiftend.
Saddam Hussein tötete nun schon Tausende, ohne daß sich das bundesrepublikanische Weltgewissen regt. Es heißt, er habe Milliarden ins Ausland geschafft. Das scheint eine Spezialität von Despoten aller Schattierungen zu sein.
Allerhand Einsendungen, ein schönes Tagebuch mit Fotos und Kinderzeichnungen. Leider fehlt das Jahr 1943 darin. Damals wurde wenig fotografiert. Es gab keine Filme mehr.
Wir gehen jetzt die Quellenangaben in meiner«Echolot»-Literatur durch, wollen mal sehen, ob wir noch was finden.
Das Mutterschaf hat mich wiedererkannt, es leckte mir die Hand und knabberte etwas an meinem Finger. Sein Lamm ist noch etwas dümming. Es springt in die Luft, jagt die Elster weg. Lustige Erlebnisse auch mit den Hunden.
Die fremde Katze blieb erstmals sitzen, als ich ins Bad kam. Dann jagte sie zum offenen Fenster, sprang in die Badewanne und schmiß alle Zahnputzgläser um:«Gerettet!»wird sie gedacht haben.
Nartum Di 26. März 1991
I897: Fritz Weineck, der«Kleine Trompeter», geboren Jahrestag der Pionierorganisation Guineas
Thierse hat die Bundesregierung gegen den Vorwurf in Schutz genommen, sie sei an der Misere in den östlichen Bundesländern allein schuld. Trotz allen Versagens dürfe man nicht vergessen, daß es eine 40jährige Vorgeschichte gebe. – Das heißt die Dinge auf den Kopf stellen!
Mieser Tagesanfang. Matt im Kopf, vermutlich Blutleere. Ich fuhr nach Zeven, um trotzdem noch etwas aus dem Tag zu machen. Fotoarbeiten, drei Apfelbäume gekauft.
2001: Alle an Krebs
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