Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
immer noch drin. Im TV Muschg, Ranicki und sogar Helmut Schmidt mit Nachrufen. Unerträglich!«Fritsch»haben sie nicht gesagt, das hätte ihn mir wieder sympathisch werden lassen. So wie damals der arme Uwe D’schonson.
Den ganzen Tag fürs«Echolot»Mrongovius-Texte eingegeben (Zwischentexte!). Paßt genau.
Skizze von Walter Kempowski
So wird es gemacht. Die Zwischentexte sind Rückblenden (wie alles so gekommen ist) und Vorgriffe zugleich. Sie geben Erklärungen für das Gesamtgeschehen, die von den Statements nicht geleistet werden können.
TV: Flüchtende Kurden vom Hubschrauber aus. Ein Skandal! Ein Schüler, befragt, warum er jetzt nicht demonstriert: Er weiß ja noch gar nichts Genaues.
Foto-Porst war zu besichtigen, der gleichzeitig Mitglied in der FDP und SED war. Millionär und Sozialist. Und Harry Ristock, der nun erst recht den Sozialismus einführen will. Langer Film über Albanien. Bilder von Hodscha, der über 40 Jahre lang herrschte, und einem Pater, der 28 Jahre im Gefängnis saß.
Das vieltausendfache Gequatsche. Tun wir das unsrige dazu? S. H. ist zu sehen, sein Grinsen ist ihm eingefroren.
Nachmittags Buchbinder Wohlfarth aus Rostock mit der für 500,- gebundenen Chronik.
Klamroth erzählte, der Lehrer seiner Tochter sei damals, beim Golfkrieg, mit seiner Familie ins Bett gegangen und habe die ganze Nacht geweint. Ob er über den russischen Afghanistankrieg auch geweint hat?
Nartum Sa 6. April 1991
Um Max Frisch ein Riesen-Tamtam. Ich zittere davor, daß Inge Meysel stirbt. Dann geht’s erst richtig los. War sie nicht BDM-FÜHRERIN und Halbjüdin gleichzeitig? Für so was gibt es gute Gründe.
Ich bin Max Frisch zweimal begegnet. Einmal in der Akademie, aufgeblasen und ausländisch. Ich gab ihm Kontra, hinterher verschwand er ohne Gruß. – Dann Jahre später in New York beim deutschen Botschafter, nett, sanguinisch. Ivan Nagel war dabei. Wie man Menschen mit etwas Freundlichkeit für sich gewinnen kann …
Hübsch zeichnen konnte er.
2007: Ein Band Reisefeuilletons kam heraus, die sich gut lesen. Leider auch Briefe an die Mutter. Wie er im Café sitzt usw. Ihre Handschrift: zum Fürchten. Das Buch kaufte ich im Ramsch für 8 Euro statt 24,80.
Nartum So 7. April 1991
Weltgesundheitstag
Gestern waren wir«zu einem Teller Suppe»bei Raddatz. Wir fanden ihn zerniert vor, weil ihm seine lebenslängliche Einmieterin (die frühere Eigentümerin) das Leben zur Hölle macht. Er will oder muß, weil er es nicht aushalten kann, das Haus verkaufen und woanders hinziehen und erlebt nun den Unterschied zwischen kaufen und verkaufen. Seine feingliedrigen Möbel würden in Notzeiten nichts bringen, sagt er. Er habe immer alles ausgegeben, jedes Honorar«versilbert». Antiquitäten? Er habe gemeint, das sei eine gute Geldanlage.
Ich versuchte ihn zu trösten, die Wohnung als zweite Haut, er wohne in seinem Geld, habe was davon usw., was er akzeptierte. Aber die Frau in dem Haus, die mache ihm eben das Leben zur Hölle.
Dann ließ er eine lange Klage los, daß er keine Clique mehr habe, alle ließen ihn allein; ich sagte, er solle nicht immer an die denken, die ihn nicht mögen, sondern an seine Freunde, Grass z. B., die er doch auch hat. Und ich bin ja auch noch da. Allerhand Anekdoten. Johnsons Tochter habe sich ihm auf den Schoß gesetzt, da habe U. J. gesagt:«Mach dich nicht an Raddatz ran!»(7 Jahre!)
Fichtes Tagebücher würden jetzt publiziert. Da stünde allerhand Abträgliches über ihn drin, obwohl er Fichte immer gehätschelt habe. Z. B. die Länge seines Penis, auf Sylt beobachtet.
Fände Janka zum Kotzen, verlogen. Jürgen Becker habe gesagt:«Der hat sich selbst verhaftet.»
Die Suppe war übrigens sehr gut, wir aßen sie von Meißner Tellern, vorher gab es eine Pastete, die F-Jott aus dem Kopf eines von Wunderlich geformten Keramikhundes löffelte, und hinterher Eis, mit einer Sauce von Frau Mund.
Gegen 11 Uhr baute R. plötzlich ab, formulierte nicht mehr genau und kriegte DDR-Weinerlichkeit in die Augen. Da es sich um seine Jugend, seine Erinnerungen handelt, wird man ihn davon nicht heilen können.
Die ersten beiden Schecks gingen ein für das Literatur-Seminar im November!
Ich werde Raddatz dazu einladen. Pastior, Wellershoff, Hahn, Raddatz, also wenn das nichts ist!
In der Nacht F-Dur-Streichquartett von Bruckner für Orchester besetzt. Bernstein? Wundervoll war das. Oft spielen sie ausgerechnet in der Nacht voluminöse
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